Inhaltsverzeichnis
- Die Anfänge
- Die Entwicklung des „Russian Rocks“
- Annerkennung in der Heimat, während der Westen überschwappt
- Musik-Festivals in der Sowjetunion
- Der Wind of Change
Musik-Festivals in der Sowjetunion
Obwohl es inoffiziell schon vor den Olympischen Winterspielen und der damit verbundenen Öffnung gegenüber der Rockmusik vergleichsweise große Festivals gab, war erst das Tbilisi Rock Festival 1980 ein entscheidender Wendepunkt in der sowjetischen Kulturpolitik. Von der Ächtung der Rockkultur ging man nun langsam zu einer Duldung und einer vorsichtigen politischen Nutzung der Musik und der Hörer über. Diese „politische Nutzung“ beschränkte sich vor allem darauf, die Liberalität der sowjetischen Regierung zu demonstrieren. Von dem Tbilisi Rock Festival Festival erschien 1981 eine offizielle Langspielplatte.1Diese inoffiziellen Festivals hatten anscheinend relativ großen Besucherzufluss, wie z.B. ab 1975 in Tallin. Die Organisation ging in erster Linie von Nikolai Menor. Obwohl das Festival in Tallin als „inoffiziell“ kategorisiert werden kann, fand die Organisation offiziell statt, doch wegen der „inoffiziellen“ auftretende Bands, war es kein offizielles Ereignis. Vgl.: Interview mit Alexander Kutikow (Maschina Wremeni) von 2014, in Privatbesitz befindlich. Für viele junge Bands war das Festival eine Art Sprungbrett für eine fortführende Karriere, andererseits hat zum Beispiel die Band Aquarium durch ihren kontrovers aufgenommenen Auftritt einen herben Karriererückschlag erlitten, der jedoch dafür sorgte, dass ihr Frontmann Grebenschtschikow zu einer Art „Bob Dylan des Ostens“ stilisiert wurde. Gleichzeitig begann sich die Berichterstattung über die Rockmusiker und -szene wesentlich zu einem positiveren Bild zu wandeln. 2Vgl.: Siebert, Armin: Rockmusik in der Sowjetunion, URL: http://www.bpb.de/internationales/europa/russland/48014/rockmusik-in-der-sowjetunion?p=all.
Das wohl wichtigste Festival in der Geschichte der Sowjetunion war das zweitägige Moscow Music Peace Festival. Es begann am 12. August im Lenin Stadion und konnte insgesamt ungefähr 200.000 Besucher*innen verzeichnen.3Als ein negativer Artikel über Maschina Wremeni veröffentlicht wurde, sollen 250.000 Beschwerdebriefe beim Magazin eingegangen sein. Wenn die Zahlen realistisch sind, dann deutet das auch auf die Beleibtheit dieser Musik zu dieser Zeit und die gleichzeitige Öffnung und Toleranz gegenüber dieser, da sicherlich viele Hörer sich sonst nicht getraut hätten solche Briefe zu verschicken, die nachweislich ihre Einstellung gegenüber der Rockmusik zeigen. Vgl.: Siebert, Armin: Rockmusik in der Sowjetunion, URL: http://www.bpb.de/internationales/europa/russland/48014/rockmusik-in-der-sowjetunion?p=all. Mit diesem Event wurde der Heavy Metal spätestens jetzt im sowjetischen Raum zur Mainstreammusik.4Vgl.: Wienecke-Janz, Detlef (ed.): Die Chronik: Geschichte des 20. Jahrhunderts bis heute, München 2006, S. 629. Die Zahlen schwanken jedoch z.T. Stark und andere Quellen geben nur 75.000 Besucher pro Tag an. Vgl.: Fuchs, Alexander; Majewski, Carsten: Black Metal – Musiksoziologische Analyse der Darstellungsformen und -inhalte einer Subkultur, Hamburg 2008, S. 50. Das Moscow Music Peace Festival diente dem Sänger der Scorpions – Klaus Meine – als Inspiration für den größten Hit-Erfolg der Band: „Wind of Change“. Dieser Song wurde zu einer Art Soundtrack für den Fall der Mauer, das Ende der kommunistischen Ära und im Allgemeinen für die Stimmung, die im Jahre 1989 das soziale, kulturelle und politische Weltklima beherrschte – obwohl er erst 1990 erschienen ist und erst im folgenden Jahr zum Nummer-Eins-Hit in elf Ländern wurde. Geschrieben wurde der „Wind of Change“ tatsächlich vor dem Fall der Mauer, weshalb nur russische bzw. sowjetische Schlüsselwörter, wie Gorky Park, die Balalaika oder die Moskwa als Ausdruck des politischen Wandels genutzt werden.5Das Festival war in seiner Ausführung, dem Auftreten der Bands und dem Verhalten des Publikums im Stile eines westlichen Rockkonzerts abgehalten worden: Keine Bestuhlung, Plakate in Publikum, etc. Vgl.: Olson, Margaret: Bon Jovi. America’s Ultimate Band, Lanham 2013, S. 55.
Zwar wurde über die Medien der Eindruck vermittelt, dass auf künstlerischer Seite alles gut organisiert ablief, doch tatsächlich bröckelte hinter den Kulissen die proklamierte Fassade des Friedens.6Vgl.: Clover, Joshua: 1989. Bob Dylan Didn’t Have This to Sing About, Berkeley, London, Los Angeles 2009, S. 116. Vor allem die Position auf der Running Order sorgten bei den westlichen Bands für Streitigkeiten, die soweit gingen, dass der Headliner Ozzy Osbourne7Laut Tommy Lee von Mötley Crüe lief auf der Bühne alles gut, aber was nach der Show passierte, sei jedoch „eine andere Geschichte“. Vgl.: Olson, Margaret: Bon Jovi. America’s Ultimate Band, Lanham 2013, S. 55. mehrfach seinen Rückzug von der Veranstaltung ankündigte. Für die sowjetischen Bands – die im Vergleich zu den westlichen deutlich in der Minderheit waren – war es in jedem Fall eine willkommene Promotion, die es für sie in dieser Form wohl noch nie gegeben hatte.8Es ist fast schon blanke Ironie, dass Ozzy für ein solches Line-Up engagiert wird, nachdem er selbst unter exzessivem Drogen- und Alkoholproblemen litt und auch vor Ort unter Drogeneinfluss stand. Gleiches gilt für die meisten anderen Musiker. Vgl.: Olson, Margaret: Ebd., S. 55.
Doch was bewirkte das Festival im direkten Zusammenhang bei den Menschen auf der Straße, bei den Menschen, denen man Frieden oder zumindest einen friedlichen Moment schenken wollte? Der britische Musikjournalist Mick Wall sieht im Moscow Music Peace Festival mehr eine Farce als das tatsächliche Herbeiführen von Veränderungen. Zwar hatten die Leute in Moskau jetzt eine Filiale von McDonalds, aber die Armut, in der die Menschen lebten, blieb im Grunde die Gleiche.9Vgl.: Wall, Mick: Appetite for Destruction. The Mick Wall Interviews, London 2010, ohne Seitenangabe (s.v. Moscow Music Peace Festival im Kapitel „Moscow Peace Festival“, 1989“). Zumindest während des Konzertes waren die Besucher*innen ekstatisch und hatten „eine gute Zeit“. Manche gehen sogar soweit zu sagen, dass dieses Festival für die Beziehungen zwischen Ost und West auf Ebene der jugendlichen mehr getan oder erreicht hat als jeder politische Beschluss.10Vgl.: Wall, Mick: Appetite for Destruction: The Mick Wall Interviews, London 2010, ohne Seitenangabe über (s.v. Moscow Music Peace Festival im Kapitel „Moscow Peace Festival“, 1989“). Des Weiteren gab es 1989 ein Festival, das unter dem Titel „Geschlossene Zone“ vom 28. – 30. 4. lief und nur sowjetischen Bands – vor allem aus dem Austragungsort Rostow am Don eine Bühne bot.11Vgl.: Olson, Margaret: Ebd., S. 56. Als Festival wurde das „Lituanika“ von 1985 bis 1989 jährlich in der litauischen SSR abgehalten. Es fand getarnt als Festival des Jugendlichen Volksliedes statt. Eines der letzten in der Sowjetunion gastierenden Festivals war die Festivaltour „Monsters of Rock“, das am 28. September 1991 wieder westliche Bands auf den Militärflugplatz Tuschino Moskau mitbrachte und ungefähr eine Millionen Zuschauer verzeichnet haben soll.12Vgl.: o.A., o.T.: http://rockanons.ru/news/rok-muzyka-v-rossii.html. Natürlich ist der Ort in Bezug auf die Musik ein sehr symbolhafter, doch das Event scheint kaum an das mediale Echo des Moscow Music Peace Festivals herangereicht zu haben. Das mag evtl. daran liegen, dass einerseits schon der eiserne Vorhang fast vollständig gefallen war und damit die Luft raus war, oder aber auch daran, dass die Bands des Line-Ups nicht die gleiche PR-Maschinerie besaßen wie die des Line-Ups des Moscow Music Peace Festival. Weitere große sowjetische Festivals waren das „Musiker für den Frieden“ (1988, Moskau), das „Podolski Rockfestival“ (1987, Podolsk)13Vgl.: Sutcliffe, Phil: AC/DC: High-Voltage Rock ’n‘ Roll: The Ultimate Illustrated History, Minneapolis 2010, S. 159 – 160. Andere Zählungen gehen von 500.000 Besucher*innen aus, was wohl realistischer wäre, aber trotzdem ein Vielfaches der Besucher*innen des „Moscow Music Peace Festivals“ darstellen würde. Vgl.: Roedy, Bill: What Makes Business Rock: Building the Worlds Largest Global Networks, New Jersey 2011, S. 115. und das „Rock-Panorama-86/87“ (Moskau), die jedoch vornehmlich mit sowjetischen Bands aufwarteten.
Alex studiert Geschichte im Master an der Universität Hamburg. Er interessiert sich vor allem für Bildwelten der Neueren Geschichte sowie für Musikgeschichte. Aktuell ist Alex auch als freier Redakteur bei Netzwelt tätig. Wenn es seine Zeit zulässt, arbeitet er gerne als Regieassistent beim Film und am Theater.
Fußnoten