Nutzung der Bilder
Zu einer überlieferten Ausstellung der Bildsammlung ist es innerhalb des Museums für Völkerkunde in Hamburg wohl nicht gekommen. Bilder galten zu dieser Zeit nicht als Ausstellungsobjekte, es ist aber im Vergleich zu anderen Expeditionen auffällig, welche Masse an Material hier vorliegt. Nichtsdestotrotz dürften die Fotografien dem wissenschaftlichen Personal bei ihrer Arbeit als vermeintlich objektives Quellenmaterial gedient haben. Schon seit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurden Fotografien für die Illustration von ethnografischen Texten genutzt.
Die in den Gründerjahren gängige Praxis des Völkerkundemuseums Hamburg war es, die Fotografien von Expeditionen nicht als Teil eines Ausstellungskorpus der Öffentlichkeit zu präsentieren. Erst seit den 1990er Jahren beschäftigt sich das Museum in einem adäquaten Umgang mit den Fotografien. Erst so wurden diese historischen Zeugnisse zu eigenständigen Objekten.1Vgl.: De Sousa: Kolonisierte Frauen, S. 7. Auch wenn das Völkerkundemuseum die Bilder nicht ausstellte, so war es doch den Expeditionsteilnehmern möglich, sie einer breiteren Masse zu präsentieren. Das geschah beispielsweise durch Reisevorträge. Das Interesse an der unentdeckten Ferne war groß.
Die Bilder wurden dem Reichskolonialbund nach dem Tod von F. F. Eiffe durch das Völkerkundemuseum für etwaige Vorträge angeboten.2Vgl.: Brief an Prof. Termer aus dem Reichskolonialbund (Geschäftsstelle Jungfernstieg) vom 18.03.1942, Original im Archiv des MARKK befindlich. Über solche Dia-Vortragsreisen hätten die Expeditionsteilnehmer jedenfalls eine gewisse Menschenmenge erreichen können. Auch die hiesige Popularität des Herzogs dürfte auf einer Auswertung der Bilder basieren. Um das zu bestätigen, müssten jedoch Zahlen zu den Besucher*innen gefunden werden. So ließe sich der Effekt bei der Gruppe der Rezipient*innen feststellen.
Die Qualität der Vorträge könnte über Zeitungsartikel oder Rezensionen zu den Vorstellungen fundiert analysiert werden. Deutlich wird aber, dass zumindest die Reise selbst mit den veröffentlichten Reisetagebüchern als wichtige Etappe in das Leben des Herzogs in späteren Biografien Erwähnung findet.
Die Darstellung des „Fremden“ war in Deutschland immer populär gewesen. Eine Möglichkeit diese „Fremde“ zu erleben, waren Ausstellungen und Menschenschauen. In Hamburg fand zum Beispiel 1910 im Hagenbecks Tierpark eine Kolonialausstellung in Form einer Menschenschau statt. In der Zeit von 1896 bis 1940 waren Völker- und Menschenschauen aber nicht nur in allen großen Städten des deutschen Reiches und der Weimarer Republik vertreten, sondern sogar in der Provinz sehr erfolgreich.3Vgl.: Arndt: The Racial Turn, S. 4-5. Generell sind solche Formen der menschlichen Darstellung und Erniedrigung ein mit der Kolonialfotografie eng verknüpfter Aspekt. Hier finden sich Überschneidungen beim Publikum wieder, die uns zeigen, welche Personen sich außerhalb des wissenschaftlichen Kontextes an solchen Bildern interessierten.
Eine weitere beliebte Möglichkeit, als europäische*r Bürger*in einen Blick in die Ferne zu werfen, waren koloniale Fotografien auf Postkarten. Von der Expedition Mecklenburgs sind aber keine Postkartendrucke überliefert. Auch wurden von den Teilnehmern Berichte von der Reise in unterschiedlichen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht. Als Organ der Deutschen Kolonialgesellschaft war dabei vor allem die Deutsche Kolonialzeitung eine wichtige Plattform für Veröffentlichungen. Grund für die prominente Platzierung der Reise war, dass die Deutsche Kolonialgesellschaft einer der Geldgeber war und sich im Vorstand der Halbbruder Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg befand.4Vgl.: Hübner: Kolonie, Ethnologie, Fotografie, S. 54. Umfangreiche und bebilderte Artikel erschienen beispielsweise in den Jahren 1911 – 1913.
In anderen Medien erschienen auch Berichte von Haberer, Heims, Mildbreadt, Schulze, von Wiese und von Winkler. Von wissenschaftlicher Seite erfolgten Publikationen zu den Themen Linguistik, in denen ganze Wortlisten zu Sprachgruppen verfasst wurden, Islamkunde und einigen Spezialgebieten der Expeditionsteilnehmer in Form von Monografien.5Vgl.: Hübner: Kolonie, Ethnologie, Fotografie, S. 60.
Zu guter Letzt dürfen die eigenen Buchveröffentlichungen des Herzogs nicht vergessen werden. In dem unter dem Titel „Vom Kongo zum Niger und Nil“ 1912 veröffentlichtem Reisebericht finden 450 Bilder von der Reise Verwendung. In der Auflage von 1921 enthielt der erste Band des Reiseberichts sogar schon 512 bunte und einfarbige Bilder. Meist haben sie dabei einen rein illustrativen Nutzen, um den beschriebenen Reiseverlauf oder die erlebten Ereignisse zu bebildern.6Vgl.: De Sousa: Kolonisierte Frauen, S. 36. Was bei einer Durchsicht der Bilder auffällt, ist, dass hier weniger anthropometrische Aufnahmen genutzt wurden als Landschaftsbilder und weniger wissenschaftlich wirkende Fotografien von Personen und Gruppen. Auch sind hier die Skizzen des Künstlers erhalten geblieben.
Diebold bringt noch einen weiteren interessanten Aspekt ein: Er betrachtet die nach Europa mitgebrachten Fotografien in ihrer Bedeutung als für den Hochadel wichtige, exotische Objekte, die eine traditionelle Rolle am Hofe haben. Diebold stellt fest, dass das Sammeln und Ausstellen von exotischen oder anderweitig besonderen Objekten seit der Renaissance ein in hochadeligen Kreisen verankertes Phänomen seien. Über lange Zeit sei die Zurschaustellung dieser Exotika auf die privaten Kunstzimmer der Adelshäuser beschränkt gewesen, im Laufe des 19. Jahrhundert habe jedoch durch das Aufkommen von Museen eine breitere Öffentlichkeit Zugang zu diesen Besonderheiten erlangt. Diese Änderung der Ausstellungsform habe die grundsätzliche Beziehung des Adels zu diesen Exotika jedoch nicht geändert.7Vgl.: Diebold: Hochadel und Kolonialismus, S. 55.
Primär sei das Exotische ein Mittel gewesen, sich von den anderen Schichten der Bevölkerung abzugrenzen. Durch den Besitz dieser Güter aus fernen Regionen wurde die Weltgewandtheit als auch der universelle Herrschaftsanspruch des Adels gefestigt. Die Schaffung der ersten Museen ermöglichte es dem Adel nunmehr, durch Sachspenden an diese sich vom aufstrebenden Bürgertum abzuheben und die voranginge Stellung des Adels zu unterstreichen. Gerade für das Adelshaus Mecklenburg-Schwerin sei diese Abgrenzung auch noch im frühen 20. Jahrhundert bestimmend gewesen.8Vgl.: Diebold: Hochadel und Kolonialismus, S. 57.
Neben den Sammlungen Adolf Friedrichs habe auch Johann Albrecht und später Großherzog Friedrich Franz IV. von Reisen in Übersee nicht nur Eindrücke, sondern auch Objekte mitgebracht. Dies seien neben Elefantenfüßen teils auch Möbelstücke oder wertvoller Schmuck gewesen. Doch auch in der Förderung von Kunst sei das Koloniale und Exotische für das Adelshaus von Bedeutung gewesen.
Der Hofmaler, Ernst Manny Heims, stellte seine Bilder von den Expeditionen später mit Unterstützung von Adolf Friedrich im Schweriner Museum aus. Die Motivation für diese gezielte Förderung einer von kolonialer Bildsprache geprägten Kunst lag, ebenso wie bei den Exotika, in der Hervorhebung der Stellung und des Engagements des Hauses Mecklenburg bei der Erforschung und Erschließung der Kolonien.9Vgl.: Diebold: Hochadel und Kolonialismus, S. 60 – 61.
Das heißt, dass in dieser Konsequenz auch die Fotografien in Form eines neuen und öffentlichkeitswirksam präsentierten Mediums als ein Teil dieser exotischen Objekte betrachtet werden können.
Gibt es einen kommunikativen Kodex?
Wie lässt sich nun ein kommunikativer Kodex von den vorliegenden Ergebnissen ableiten? Jedes Bild ist auf seine Art einzigartig und muss für sich selbst sowie eingebettet innerhalb der Produktionsbedingungen betrachtet werden. Wie bereits festgestellt, liefert ein Bild mehr Informationen, wenn es in dem Produzent*innen-Rezipient*innen-Verhältnis, in dem es entstanden ist, betrachtet wird. Bilder können vom Inhalt her verstanden und in ihrer Form erlebt werden. Das führt zu der Schlussfolgerung, dass das Verstehen des Inhalts erlernt werden könne.10 Das macht somit einen kommunikativen Kodex auch für Laien auf dem Gebiet der Bildbetrachtung immens wichtig.
Wir müssen feststellen, welche Botschaft die Bilder transportieren wollen. Daraus ergibt sich ein Narrativ, welches wir zum größten Teil anhand des Herzogs und seiner Welt rekonstruieren müssen. Als prominenteste Figur der Reise ist über ihn am meisten überliefert. Die Spuren der anderen Expeditionsteilnehmer sind aber ebenso von Bedeutung. Sowohl ihre Qualifikation und bisherige Tätigkeiten, als auch die späteren Beiträge zu Mecklenburgs Reisebericht, liefern uns wichtige Informationen. Nichtsdestotrotz scheinen die Narrative der anderen Teilnehmer in Mecklenburgs aristokratischer Welt aufzugehen.
Es lässt sich zusätzlich eine Verbindung zwischen aufgenommenen Motiven und den Fragen der auf der Reise mitgeführten Fragebögen ziehen. Zu den Kategorien, welche den Anthropologen und Rassenkundler Dr. O. Reche in der Heimat interessierten gehörten beispielsweise die Fischerei, Arbeitswerkzeuge, Krieg, soziale Strukturen und die Stellung der Frau. Aber auch Tänze, Musik und die Zauberei befanden sich als Themen auf der Liste.10Ebd. S. 33 – 34.
Die Auswahl der Fragen orientieren sich an den Forschungsgebieten von Reche: Anthropologie, Ethnologie und Rassenkunde. Für ihn wird es sich um die Erbringung von objektiven Beweisen für seine Rassentheorien gehandelt haben.
Mit einem solchen Leitfaden ausgestattet, werden die Expeditionsteilnehmer diesen auch abgearbeitet haben. Generell war die Bindung zwischen der europäischen „Basis“ und der Expedition sehr eng gehalten. Die Gruppe war zu regelmäßigem Briefkontakt verpflichtet und auch die Bandbreite an unterschiedlichen Medientypen, mit denen die Ergebnisse festgehalten wurden, deuten darauf hin, dass die Gruppe in ein feinzahniges System eingebunden war.
Einen auffällig großen Anteil der Fragen zum Thema Gesellschaft und soziale Rolle nimmt die Frau ein. Auch die Form und Verstümmelung von Genitalien, der gesundheitliche Zustand oder auch spezielle Fragen zum Geschlechtsverkehr finden sich hier wieder. Dabei besteht dieser thematische Bereich sowohl aus anthropomorphen und für die wissenschaftliche Nutzung hergestellten Bildern als auch aus Fotografien, welche einem künstlerischen Anspruch an Erotik gerecht zu werden versuchen.11Vgl.: De Sousa: Kolonisierte Frauen, S. 40f.
Da ein*e Betrachter*in eines zufälligen Bildes von sich aus nicht unbedingt Details und Wissen zu den Produktionsbedingungen eines Bildes mitbringen kann, ist der erste Interpretationsweg eines*einer Betrachter*in die semiotische Einordnung des Gesehenen. Es scheint unverzichtbar zu sein, einem Bild nicht nur eine Bildunterschrift mitzugeben, sondern mit Hinweisen zu arbeiten, welche das fehlende Wissen der betrachtenden Person steuern können.
Ist also ein kommunikativer Kodex in dem Sinne überhaupt möglich, der ein universelles Werkzeug zur Bildeinordnung dem*der Betrachter*in mitgibt? Also etwas, was wie eine Checkliste funktioniert? Um es metaphorisch zu sagen: Der Rahmen lässt sich setzen, aber jedes fotografische Zeugnis ist individuell und lässt sich nur in Teilen einem Schema zuordnen. Gleichwohl muss jede Expedition wohl eigenständig betrachtet werden, da jede Änderung im Ablauf, der Teilnehmer*innen oder der Fragestellung und geplanten Verwertung sich auf den fotografischen Ausgang auswirken.
In diesem Falle orientiert sich der kommunikative Kodex am Fragenkatalog, da er diesen grafisch widerspiegelt. Das bedeutet, dass O. Reche das erste Glied der Produktionskette darstellt und dass die Fotografien in erster Linie auf seiner entwickelten Fragestellung basieren oder in seinem Sinne entstanden sind. Die Expeditionsteilnehmer waren dabei die durchführenden Organe. Als Rezipient*innen waren wohl in erster Linie wissenschaftliche Kreise gedacht.
Da Otto Reche 1911 Abteilungsvorsteher 12Vgl.: O.A.: Im eignen Haus. 1904-1914, URL: https://markk-hamburg.de/geschichte/ (abgerufen am 25.5.2021). am damaligen Völkerkundemuseum in Hamburg war, ist es jedenfalls plausibel, dass er auch selbst der inhaltliche Urheber der Fragen ist. Es lässt sich nicht sicher sagen, ob er auch die Fragen formuliert und ob ggf. weitere Personen daran beteiligt waren. Aber als Abteilungsleiter wird er diese Fragen zumindest für die Expedition als letzte Instanz freigegeben haben.
Was lernen wir daraus?
Die Bilder aus den deutschen Kolonien dienten nicht nur dazu zu zeigen, wer „die Anderen“ sind. Durch die Konstruktion afrikanischer Einwohner*innen als eine biologisch klar definierte Gruppe, fand rückwirkend auch eine Konstruktion der Europäer*innen als eine biologische Gruppe statt.13Vgl.: Schütz, Sarah: Körperbilder und Geschlecht in Fotografien der Sammlung Kiepenheuer aus der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, Hamburg 2018. Es ist kurz ausgedrückt eine Selbstdefinition über die Attribute der anderen Menschengruppen. Die politische Motivation der Expedition drückt sich nicht nur durch die Geldgeber und Financiers des Projekts aus, sondern auch durch die kongruent zur Rassenlehre passenden Ergebnisse.
Bereits das Verhältnis der Forscher zu den erforschten Subjekten stellt die Situation in ein rassistisches Verhältnis. Der technische Fortschritt der westlichen Welt manifestiert sich dabei bereits durch die Entwicklung und Nutzung einer Fotokamera.14Vgl.: Zeller, Christoph: Ästhetik des Authentischen, Berlin 2010, S. 10. Selbst, wenn die Mecklenburg-Expeditionen aus unserer heutigen Sicht kein bis wenig wissenschaftlich verwertbares Material geliefert haben, so waren sie doch für den Herzog und seine Selbstinszenierung ein voller Erfolg. Er erschuf damit ein Narrativ, welches ihn als Entdecker, Forscher und Bringer der Kultur inszeniert.
Durch die fotografische Sammlung Mecklenburgs lässt sich seine Perspektive sowie der Blickwinkel der anderen Expeditionsteilnehmer auf Afrika und die dort lebenden Menschen sowie ihre Gesellschaft erfassen. Es ist ein Trugschluss, dass hier afrikanische Geschichte oder Kultur fotografisch aufgezeigt wird. Es handelt sich hierbei um das Empfinden der weißen Europäer*innen, ihre Vorstellung davon, was „afrikanisch“ ist. Diese konkrete Vorstellung spiegelt sich in den Fragebögen der Expedition wider, deren rassistischer Grundgedanke durch Reche wie ein Leitfaden für die „Foto-Jagd“ implementiert wurde.
Zwei wichtige Faktoren sind letztendlich für die Betrachtung entscheidend:
1) Das Produktionsverhältnis lässt sich über die archivierten Akten, Briefe und Fragebögen so weit rekonstruieren, dass ein deutlich rassistischer Auftrag durch die Finanziers und Wissenschaftler vorliegt. Die Bildsprache und Systematik orientieren sich deutlich am mitgegebenen Auftrag.
2) Es lässt sich über eine rezeptionsästhetische Betrachtung die Wirkung bei den damaligen Rezipienten konstruieren, welche jedoch durch weitere Quellen untermauert werden muss.
Über den Zugriff der Nationalsozialisten auf Rechtsstrukturen des Kolonialismus erfüllen die entstandenen Bilder die Funktion einer wissenschaftlichen Grundlage für die Argumentation zwecks eines rassistischen Weltbildes. Dabei spielte die Rolle der Aristokrat*innen einen entscheidenden gesellschaftlichen Faktor, das Bildmaterial auch massenwirksam abseits der wissenschaftlichen Forschung zu streuen und so eine allgemeine Akzeptanz des kolonialen Systems und der Rassenlehre zu schaffen.
Diebolds Re-Import der kolonialen Ideen durch den Herzog von Mecklenburg lässt sich durch die hier aufgezeigten Produktionsbedingungen und die weitere Nutzung sowie auch die Rolle des wissenschaftlichen Personals direkt bis in den NS-Staat wie ein roter Faden nachvollziehen. Sei es über die Personalien des Völkerkundemuseums, welche die Fotografien in „verwissenschaftlichter Form“ für ökonomisch und politisch motivierte Entscheidungen im weiteren Verlauf ihrer Karriere im NS-Staat nutzten oder über den Aspekt der „Rassenhygiene“, die von den Nazis in Europa in abgewandelter Form durchgeführt wurde.15Vgl.: Harten, Hans-Christian; Neirich, Uwe; Schwerendt, Matthias: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reiches. Bio-bibliographisches Handbuch (=Edition Bildung und Wissenschaft 10), Berlin 2006, S. 3-5. Die Rassenkundler und Nationalsozialisten holten sich die wissenschaftliche Untermauerung ihrer politischen, gesellschaftlichen und sozialen Ideen aus der kolonialen Fotografie nach Europa, wodurch der von Diebold thematisierte Reimport auch auf bildlicher Ebene bestätigt werden kann.
Das aristokratische Narrativ dient dabei vor allem für die Rezeption in Europa. Durch die Stellung der Aristokrat*innen sowie durch ihre gesellschaftliche Rolle als Bewahrer*innen der Kultur und als öffentlichkeitswirksame Personen, konnten sie das ihnen zugeschriebene Narrativ wie in einer modernen Marketingkampagne ausfüllen. Das mit den Bildern verknüpfte Gedankengut und Weltbild konnte auf diese Weise hierzulande massenwirksam populär gemacht werden. Wenn Fotografien früher wegen der Herstellungskosten nicht für jedermann zugänglich waren,16Vgl.: Jäger, Jens: Fotografie und Geschichte, Frankfurt am Main 2016, S. 52. so wurden Menschen aus bürgerlichen und auch aus Arbeiter*innenkreisen nun über unterschiedliche mediale Kanäle mit einer Bilderflut konfrontiert.
Hinzu kommt die Tatsache, dass Fotografien zu dieser Zeit noch nicht als eine Kunstform betrachtet wurden, sondern eher Drucken und Zeichnungen als gleichwertig gegenübergestellt waren. Fotografien boten zwar eine große Detailgenauigkeit, blieben aber „seelenlos“ aufgrund der fehlenden Möglichkeit für den*die Produzent*in der Bilder, ihre künstlerische Persönlichkeit einzubringen.18 Das verstärkte den subjektiven Charakter und führt zu einer verklärten Wissenschaftlichkeit, welche in Europa auf fruchtbaren Boden fiel. Alte Vorurteile wurden nun felsenfest bestätigt und nicht hinterfragt.
Dieser historische Moment zeigt, wie wichtig die konsequente Aufnahme von Bildern in den historischen Quellenstock ist und welche Wirkung und Funktion Bilder innerhalb einer Gesellschaft entfalten können. Die Fotografien, ohne eine Einbettung in das Produzent*innen-Rezipient*innen-Verhältnis zu betrachten, birgt die Gefahr der falschen Verwissenschaftlichung und einer Uminterpretation dessen, was das Medium eigentlich als historische Quelle leisten kann. Nichtsdestotrotz ist auch der abgebildete Inhalt genauso wichtig für eine Einordnung des Gesehenen.
Um solchen Bildern heute die rassistische Stimme nehmen zu können, sollte eine Präsentation im öffentlichen Raum immer von einer Einbettung in den Kontext der Entstehung und Nutzung mitgegeben werden. So wird aus einer objektiven Quelle ein subjektiv betrachtbares Interpretationsmuster extrahiert.
Alex studiert Geschichte im Master an der Universität Hamburg. Er interessiert sich vor allem für Bildwelten der Neueren Geschichte sowie für Musikgeschichte. Aktuell ist Alex auch als freier Redakteur bei Netzwelt tätig. Wenn es seine Zeit zulässt, arbeitet er gerne als Regieassistent beim Film und am Theater.
Fußnoten