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Rassismus: Der Kommunikationskodex in den Fotografien von Adolf Friedrich, Herzog zu Mecklenburgs Afrika-Expedition 1910/1911

Die Kolonialfotografie sollte mit ihrer vermeintlichen Objektivität einen Beweis der menschlichen Unterschiede für die Rassenkunde dokumentieren und verwissenschaftlichen. Neben den traditionellen Feuerwaffen waren es zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem Fotoapparate, mit denen nun auf Expeditionen geschossen und wissenschaftliche Beweise gesammelt wurden. Das Deutsche Reich verlor seine Kolonien nach dem ersten Weltkrieg, doch die Fotografien blieben. Wie können wir sie heute betrachten und welche Informationen erhalten wir durch sie?

Originaltitel: "Überschwemmung im Schari-Gebiet"
 

Wir leben in einer Epoche der visuellen Darstellungen. Sie sind historische Quellen und können den Nutzer*innen die Deutungswahrheit1Ich benutze bewusst diese Wortkombination, da die Wirkung eines Bildes bedingt durch seine Materialität und Aussagekraft zu einem Werkzeug oder zu einer Art „Beweis“ für die eigene Deutungsperspektive missbraucht werden kann. Es gibt in einer multi-perspektivischen Welt nicht „die eine Wahrheit“ und so können Bilder auch dazu genutzt werden seine eigene Sichtweise innerhalb eines Diskurses zu untermauern. über Ereignisse politischer, gesellschaftlicher und sozialer Natur verleihen. Bilder dienen als individuelle sowie gesellschaftliche Zeugnisse und Bezeugnisse. Ein Bild kann aus unserer Perspektive auf vergangene Ereignisse ein Zeugnis dieser Momente darstellen. Gleichzeitig ist ein Bild in seiner vermeintlichen Objektivität ein sehr subjektiver Zeuge.

Die Rolle des Bildes ist in der Geschichtswissenschaft bis zum Visual Turn 2Vgl.: Paul, Gerhard: Von der Historischen Bildkunde zur Visual History. Eine Einführung, in: Gerhard Paul (Hg.): Visual History. Ein Studienbuch, Berlin 2006, S. 7. vornehmlich eine archivarische gewesen. Das Bild galt als Quelle, die zwar durch die Technik objektiv zu sein schien, aber sie blieb in ihrer Rolle und Berücksichtigung bei der Forschung weit hinter Textquellen zurück. Es hatte eine eher illustrierende Funktion und wurde dementsprechend lange in seiner Betrachtung als eigenständige und auf die Gesellschaft wirkende Quelle vernachlässigt. Auch im ethnografischen Kontext genutzte Bilder wurden und werden zuweilen in ihrer eine Realität oder zumindest einen realen Moment abbildenden Funktion betrachtet.3Vgl.: Paul, Gerhard: Ebd., S. 7-10

Die Fotografie hat jedoch – durch eine neue Definition der Repräsentation und damit der Schaffung einer neuen Beziehung zwischen Kunst und Wirklichkeit sowie von privaten und öffentlichen Situationen – einen neuen Realitätsbegriff geschaffen. Damit geht einher, dass eine neue Definition von Visibilität und visuellen Codes entstanden ist.4Vgl.: Weibel, Peter: Eine postmoderne Bedingung der Fotografie: Variable Zonen der Visibilität. Zu Jürgen Klaukes „Prosecuritas“-Zyklus (Phantom Photographie), in: Kornelia Hahn (Hg.): Öffentlichkeit und Offenbarung. Eine interdisziplinäre Mediendiskussion, Konstanz 2002, S. 242. Dieser visuelle Code wird durch die Beziehung zwischen Rezipienten und Produzenten als Kommunikationskodex – wie eine Art Regelwerk – konstruiert.

Dieser Kodex kann sich je nach Betrachtung und Einsatz von Bildquellen verändern. Gleichzeitig konsumieren wir ein Bild auf unterschiedlichen und individuellen Erfahrungsebenen.5Vgl.: Balme, Christopher: Libretto. Partitur. Bild. Die Münchner Händel-Inszenierungen zwischen Konzept- und Bilder-Theater, in: Jürgen Schläder (Hg.): OperMachtTheaterBilder. Neue Wirklichkeiten des Regietheaters, Berlin 2006, S. 55. Die Kulturwissenschaftlerin Sonja Malzner bezeichnet dieses Phänomen als kodierte und nicht kodierte, also als buchstäbliche und als symbolische Nachrichten eines Bildes.6Vgl.: Malzner, Sonja: So sah ich Afrika. Die Repräsentation von Afrikanern in plurimedialen Reiseberichten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Saarbrücker Beiträge zur vergleichenden Literatur- und Kulturwissenschaft (63), Würzburg 2013, S. 44-46. Unter diesem Aspekt nehmen wir eine Betrachtung der Fotografien vor, welche der deutsche Adlige Friedrich Adolf zu Mecklenburg auf seiner Innerafrika-Expedition in den Jahren 1910/1911 anfertigte.

Europäische Adelsvorstellungen, wie sie durch Adolf Friedrich zu Mecklenburg nach Afrika gebracht wurden und europäischer Rassismus haben sich gegenseitig gestärkt. Rassismus und adelige Herrschaftskonzepte waren eng miteinander verwoben und legitimierten sich gegenseitig. Rassistische Ideen dienten zum Interessenerhalt der Aristokraten und gleichzeitig dienten Vorstellungen des Adels dem Rassismus als theoretische Grundlage.7Diebold, Jan: Hochadel und Kolonialismus im 20. Jahrhundert: die imperiale Biographie des „Afrika-Herzogs“ Adolf Friedrich von Mecklenburg, in: Kathleen Jandausch, Matthias Manke, Martin Schoebel und René Wiese (Hg.): Quellen und Studien aus den Landesarchiven Mecklenburg-Vorpommerns (21), Köln 2019, S. 134-139. Wie der Historiker Jan Diebold feststellt, wurden die afrikanischen Kolonien zum Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer Ausweichstätte für absolutistische Adelsfantasien, welche in Europa oder auf der anderen Seite des Atlantiks bereits verblassten.8Diebold, Jan: Hochadel und Kolonialismus im 20. Jahrhundert: die imperiale Biographie des „Afrika-Herzogs“ Adolf Friedrich von Mecklenburg, in: Kathleen Jandausch, Matthias Manke, Martin Schoebel und René Wiese (Hg.): Quellen und Studien aus den Landesarchiven Mecklenburg-Vorpommerns (21), Köln 2019, S. 134-139.

Dabei wurde die Fotografie als Medium bewusst eingesetzt, um diese vermeintlichen rassischen Aspekte und Unterschiede sowie eine eigene kulturelle Überlegenheit in Europa – unter der Nutzung des fotografischen Mediums – zu reimportieren und wissenschaftlich als auch gesellschaftlich zu etablieren. Auch diese aristokratisch-rassistischen Vorstellungen unterliegen einem kommunikativen Kodex innerhalb der Fotografie.

Um die gegenseitige Stärkung von Aristokratie und Rassismus zu identifizieren, müssen die Fotografien der Innerafrika-Expedition Mecklenburgs innerhalb der damaligen Produktionsbedingungen eingeordnet, der Auftrag der Expedition identifiziert und die Art der Umsetzung betrachtet werden. In dieser Hinsicht spielen generell (Völkerkunde-)Museen eine entscheidende Rolle, da sie die Rolle des Auftraggebers von fotografischen Expeditionen einnehmen und so den finanziellen und wissenschaftlichen Rahmen vorgaben.

Schwarz-weiß Fotografie eines erlegten Büffels. Zu sehen sind ein indigener Jäger und Mecklenburg.
Originaltitel: „Hoheit mit einem erlegten Büffel“
 

Gleichzeitig hat der Herzog mit seinem Einsatz eigene Interessen verfolgt, deren Überschneidung mit den Interessen und Zielen der Auftraggeber im weiteren Verlauf aufgezeigt werden. Der Rezipient bzw. die Rezipientin– vor allem die breite Bevölkerung, welche über Bücher, Vorträge, o.Ä. diese Bilder konsumierte – erlebte die Fotografien mit einer Erwartungshaltung der Wissenschaftlichkeit und ordnete sie dieser Haltung entsprechend als einen wissenschaftlichen Blick auf die Welt ein. Es gibt eine unübersehbare Menge an Bildern, welche von der kolonialen Expansion Europas zeugen. Diese Bilderflut kann jedoch nicht in einem starren europäisch dominierten Produzent*innen-Rezipient*innen-Verhältnis betrachtet werden, bei dem die afrikanischen Einwohner*innen nur eine passive Rolle spielten. 9Vgl.: Jäger, Jan: Bilder aus Afrika vor 1918. Zur visuellen Konstruktion Afrikas im europäischen Kolonialismus, in: Paul Gerhard (Hg.): Visual History. Ein Studienbuch, Berlin 2006, S. 134-136. Jens Jäger fasst diese Problematik der Kolonialfotografie in drei Punkten zusammen:

1) Es spielen viele lokale Faktoren – beginnend bei Flora und Fauna – in den Entstehungsprozess einer Fotografie mit hinein. Dadurch entstünden bereits regionale Unterschiede bei der Betrachtung der kolonialen Fotografie.

2) Auch war es für Afrikaner*innen möglich, aktiv am Entstehungsprozess von Bildern teilzunehmen, sodass es kein europäisches Dominanzmodel für die kolonialistische Fotografie per se geben könne.

3) Die Quellenlage bei der Fotografie verhält sich analog chaotisch, wie es bei anderen Quellen der Fall sei. Dadurch lasse sich kein ganzer Kontinent mit einem einzelnen Quellen-Korpus darstellen.

Die Verknüpfung der Hautfarbe mit „rassischen Merkmalen“10Vgl.: Jäger, Jan: Ebd., S. 137. , ist dabei ein Produkt der Neuzeit und an das Medium der Fotografie geknüpft. Das Medium selbst verspricht trügerische Objektivität, da der*die Betrachter*in zu glauben schien, dass er*sie unabhängig des*der Fotograf*in eine Art archivarischen Blick auf etwas „Reales“ und durch den technischen Aspekt der Fotografie auch „Objektives“ werfe. Gepaart mit einem mangelnden Wissen über Afrika und eingebettet in ein vorgefertigtes Interpretationsmuster, konnten so Bilder, welche immer mit einer Absicht oder einem Interesse angefertigt wurden, in europäische Ausstellungen, Museen und in die Köpfe der Menschen gelangen. Von dort aus bestätigten sie ein seit den 1870er Jahren in den Reiseberichten von Afrika-Expeditionen immer stärker aufkommendes rassistisches Weltbild.11Vgl.: Jäger: Bilder aus Afrika, S. 137f.

Die uns vorliegenden Bilderwelten haben unterschiedliche Aussagen, je nachdem ob wir eine afrikanische oder europäische Perspektive einnehmen.12Wir können hier leider nur unsere europäische Perspektive näher beleuchten, da eine Betrachtung unter dem Aspekt einer afrikanischen Perspektive auf diese Bilder durch afrikanische Historiker*innen durchgeführt werden muss. Bedingt durch unterschiedliche kulturelle und gesellschaftliche Unterschiede wirkt sich das auch auf die Betrachtung der Bilder sowie auf ihre Deutung und Einordnung aus.

Aristokratie und Rassismus

Die Betrachtung, bzw. unsere Perspektive auf den Begriff der „Rasse“ wird in der Geschichtswissenschaft erst in moderner Zeit hinterfragt. So postulierte der Forscher Shankar Raman 1995 einen „racial turn“, der als ein „turn in race“ zu einer Betrachtung des Begriffs als soziale Realität annimmt. Es gibt keinen biologischen Grund für eine Einteilung der Menschen in Rassen, aber auf gesellschaftlicher Ebene passiere doch genau das.13Vgl.: Arndt, Susan: The Racial Turn. Kolonialismus, Weiße Mythen und Critical Whiteness Studies, in: Bechhaus-Gerst, Marianne; Gieseke, Sunna (Hg.): Koloniale und postkoloniale Konstruktionen von Afrika und Menschen afrikanischer Herkunft in der deutschen Alltagskultur (=Afrika und Europa 1), Frankfurt a. M. 2007, S. 11. Deshalb ist es wichtig zu fragen, woher diese gesellschaftliche Annahme des Rassengedankens kommt und welche Narrative (Arndt nennt es passend „weiße Mythen“) dabei produziert werden.

Als Räume von Einfluss und politischer Macht konnte lange Zeit der Landbesitz der Adligen dienen. Mit diesen materiell real existierenden Landansprüchen war eine gesellschaftliche Position verbunden, welche beginnend mit dem 18. Jahrhundert zu schrumpfen begann.  Diese an Landbesitz geknüpften Adelsräume sind auch in der Moderne nicht verschwunden, doch mit dem Fortschreiten der gesellschaftlichen Entwicklung, musste dieser Adelsraum immer mehr mit kulturellen Adelskonzepten kompensiert werden. Diese Entwicklung sorgte jedoch nicht dafür, dass Adel zu einer bloßen Idee oder einem imaginären Konzept wurde.

Vielmehr entfaltete sich ein pluralistischer Raum, welcher der adeligen Gesellschaft neue Aktionsbereiche und Entwicklungsoptionen bot. Gleichzeitig wird eine Person als adlig angesehen, die sich entsprechend zunehmend medial als adelig präsentieren kann.14Vgl.: Wienfort, Monika: Der Adel in der Moderne, Göttingen 2006, S. 134. Somit wurde mit schwindendem politischem Einfluss eine Selbstinszenierung und der Bezug auf bestimmte Werte und Eigenschaften, welche Adelige als eine Art „Übermenschen“ repräsentieren immer wichtiger.

Die bürgerliche Gesellschaft nahm den Adel unterschiedlich wahr. Durch große Investitionen in ihre Güter und Sitze sowie durch kulturelle Veranstaltungen und den Erhalt von Traditionen, wurde der Adel als ein wichtiger Hüter der Kultur betrachtet.15Vgl.: Wienfort, Monika: Ebd., S. 156. Dieses Narrativ hilft in diesem Fall, die Rolle Mecklenburgs und auch der Aristokrat*innen überhaupt erst für den kommunikativen Kodex greifbar zu machen.

Für eine Analyse und Einordnung der Fotografien müssen die Aspekte eines rassistischen Weltbilds Mecklenburgs definiert und in den Fotografien durch eine äußere und innere Quellenkritik bestätigt werden. Zur Analyse der Bilder eignet sich der semiotischen Ansatz, der auch eine Funktionsanalyse beinhaltet. Dabei handelt es sich um eine Bildanalyse mit zusätzlicher Fragestellung, bei der ein gesellschaftlicher Bezug und die Wirkung von Bildern auf soziale Gegebenheiten hergestellt wird. Diese Bildbetrachtung hat die politische Ikonografie als Betrachtungsgrundlage und bezieht Produktions- und Distributionsbedingen mit ein.16Vgl.: Talkenberger, Heike: Historische Erkenntnis durch Bilder. Zur methodischen Praxis der historischen Bildkunde, in: Hans-Jürgen Goertz (Hg.): Geschichte. Ein Grundkurs. Reinbek 2007, S. 95-98.

Der semiotische Ansatz geht davon aus, dass die Bildbedeutung erst durch den*die Betrachter*in hergestellt wird. Diese Bedeutung ist Teil einer visuellen Kommunikation, welche Syntax (Stil, Form), Semantik (Inhalt) und Pragmatik (soziale Funktion) umfasst. Im Kontext der Wahrnehmungssituation eingebettet, können so von Betrachter*innen unterschiedliche Bedeutungen produziert werden. Als visuelles Zeichen betrachtet, ist das Bild in dieser Form der Analyse häufig in einen Prozess zur Abbildung von Ritualen eingebettet.17Talkenberger, Heike: Von der Illustration zur Interpretation. Das Bild als historische Quelle. In: Zeitschrift für Historische Forschung 3 (1994), S. 300-305.

Zur Nutzung eines kommunikativen Kodex sind verschiedene Zeitebenen zu berücksichtigen:18Vgl.: Talkenberger, Heike: Ebd., S. 307.

  1. Zeitpunkt der Aufnahme (ethnohistorischer Kontext)
  2. Zeitpunkt der Veröffentlichung (Materialität und Medialität)
  3. Heutige Betrachtung

Wer hat welches Bild mit welcher Absicht produziert? Das ist die Leitfrage, welche bei der äußeren und inneren Quellenkritik Anwendung finden muss. Das Produzent*innen-Rezipient*innen-Verhältnis ist letztendlich die einzige Möglichkeit, den Bildinhalt in seiner subjektiven Unbestimmtheit in eine objektive und methodische Betrachtungsweise zu überführen.

Fußnoten[+]

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