Inhaltsverzeichnis
- Die Anfänge
- Die Entwicklung des „Russian Rocks“
- Annerkennung in der Heimat, während der Westen überschwappt
- Musik-Festivals in der Sowjetunion
- Der Wind of Change
Der Wind of Change
In den achtziger Jahren konnten vor allem die Scorpions Gorbatschows Glasnost und Perestroika für eine musikalische Selbstinszenierung nutzen.1Vgl.: Pewtschew, Aleksej: Рок-фестиваль Подольск-87 шарахнул, как шаровая молния, URL: http://izvestia.ru/news/536967. Dabei gehört der Song „Wind of Change“ zu den kommerziell größten Erfolgen der Band.2Vgl.: V. Schoenebeck, Mechthild: Was macht Musik populär? Untersuchungen zur Theorie und Geschichte populärer Musik, in: Europäische Hochschulschriften. Reihe XXXVI Musikwissenschaft. Band 31, Frankfurt am Main 1987, S. 94. Das erste Mal kamen die Scorpions im Zuge der Savage Amusement-Tour im Jahre 1988 für eine zehntägige Konzertreihe in die Sowjetunion. Bereits nach diesem ersten Besuch veröffentlichten die Scorpions unter dem Titel „To Russia with Love and Other Savage Amusements“ eine 45minütige Dokumentation, welche den musikalischen Ausflug in den Ostblock mit Live-Aufnahmen von den Auftritten und diversen Hintergrundberichten festhielt. Die Setlist liest sich wie die eines westlichen Konzertes. Es kann davon ausgegangen werden, dass keine Vorgaben von staatlicher Seite kamen, welche Titel gespielt werden dürften. Das zeigt auch ein relativ großes Maß an Freiheit für die musikalischen Gäste. Der zweite Besuch in der Sowjetunion fand 1989 statt. Nach einem letzten Besuch 1991 kehrten die Hannoveraner ab 1997 wieder für regelmäßig stattfindende Konzerte in die ehemalige Sowjetunion zurück.
Dabei entsteht der Eindruck, dass die russische Bevölkerung heute die Ansichten bezüglich des politischen Einflusses durch die Band zu erkennen scheint, was sich durch die bis heute anhaltende enorme Popularität der Scorpions in Russland zeigt. Es wird deutlich, dass die Rockmusik in der Sowjetunion immer ein Spiegelbild der politischen Veränderungen war und sich nur zusammen mit ihr weiterentwickeln konnte. Es fand ein Kampf um das Überleben statt und die Sanktionen gegen Musiker waren zum Teil hart, doch der Kampf beschränkte sich viel mehr auf einen Kampf um die bloßen Existenzrechte. Es ging darum den Raum auszuloten, in dem man sich frei bewegen durfte. Es gab wohl keine flächenmäßig verbreitete musikalische Intention politische Veränderungen herbeizurufen.3„Wir, also Rudolf, Matthias und ich haben [Wind of Change] auch als Schlager angesehen, aber es war vom kommerziellen Blickpunkt gesehen der erfolgreichste Song, den die Scorpions jemals hatten. Gut, die Zeit hatte da einen großen Faktor gespielt […] und das hat natürlich enorm viel ausgemacht!“ Vgl.: Interview mit Herman Rarebell vom 10. Juli 2012, URL: https://web.archive.org/web/20170707171559/http://www.metal-trails.com/interviews/herman-rarebell/2012-07-10.html. Einzelne Musiker*innen, die politisch aneckten gab es zwar immer, aber es geht wohl zu weit von einer politisch orientierten Organisation zu sprechen. Dieses somit von westlichen Bands bekannte „Sendungsbewusstsein“ wird damit zu einer einseitigen Sichtweise, die der wahren Situation nicht gerecht werden kann. Das Moscow Music Peace Festival zeigt den Höhepunkt einer Entwicklung, die nun nicht nur auf Augenhöhe mit der westlichen Musikwelt steht, sondern sogar über sie hinauswächst und für einige Momente zum Zentrum der Rockszene wird.
Hier kann man nun sagen, dass es zwar diese schleichende kulturelle Invasion durch die Rockmusik gab, die einen gewissen westlichen Lebensstil oder eine Lebensauffassung brachte, aber gleichzeitig Russland und seine Traditionen, welche nicht die sowjetischen sind, ein wichtiger stilistischer und textlicher Bestandteil des Russian Rocks wurden. Man kann tatsächlich davon ausgehen, dass es eine Art kulturelle Eroberung durch den Westen gab, diese aber nicht politisch motiviert, oder auch nur ansatzweise geplant gewesen wäre.
Alex studiert Geschichte im Master an der Universität Hamburg. Er interessiert sich vor allem für Bildwelten der Neueren Geschichte sowie für Musikgeschichte. Aktuell ist Alex auch als freier Redakteur bei Netzwelt tätig. Wenn es seine Zeit zulässt, arbeitet er gerne als Regieassistent beim Film und am Theater.
Fußnoten