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Und jetzt, Lisa Hellriegel?

Obwohl die Bandbreite beruflicher Möglichkeiten mit einem Geschichtsstudium schier unendlich ist, stehen nicht nur an dem Studium interessierte Personen, sondern auch so manche*r Absolvent*in vor dieser Frage. Wir haben Lisa Hellriegel gefragt: was macht man mit einem Geschichtsabschluss?

Lisa Hellriegel
 

1.  Kannst du dich in einigen Worten kurz vorstellen?

Mein Name ist Lisa Hellriegel, ich bin 25 Jahre alt und habe Ende 2021 mein Studium im Master Geschichte abgeschlossen. Seit Februar arbeite ich als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH) im Projekt ForuM: „Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland“.

2. Wie bist du auf ein geschichtsbezogenes Studium gekommen?

Ausschlaggebend war für mich ein Freiwilliges Soziales Jahr Kultur im Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation (IZS) Wolfsburg direkt nach meinem Abitur 2014. Das IZS ist das Archiv der Stadt Wolfsburg, das auch zur Stadtgeschichte forscht sowie Vermittlung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene anbietet. Durch die nationalsozialistische Gründungsgeschichte Wolfsburgs 1938 als „Stadt des KdF-Wagens“ stehen dabei Themen der NS-Vergangenheit, aber auch der jüngeren Zeitgeschichte im Vordergrund. Als FSJlerin durfte ich in allen Bereichen aushelfen und mitarbeiten. Besonders großen Spaß hat mir die Assistenz bei der historischen Forschung gemacht.

3. Wo hast du Geschichte studiert und was waren deine Schwerpunkte und Interessen?

Nach dem FSJ Kultur ging es für mich nach Hamburg, wo ich sowohl den Bachelor als auch den Masterstudiengang besucht habe. Von Anfang an hatte ich Schwerpunkte in der deutschen und europäischen Zeitgeschichte. Besonders angetan hatte es mir schon im Bachelor ein Seminar zur Oral History. Nach meinem Auslandssemester am Trinity College Dublin habe ich mich in meiner Bachelor- und später auch Masterarbeit auch mit Oral History beschäftigt. Im Fokus stand dabei die relativ neue Methode der Sekundäranalyse – eine Methode, mit der man Interviews, die jemand anderes geführt hat, nochmals mit einer anderen Fragestellung auswertet. Im Master lag ein weiterer Schwerpunkt von mir auf Erinnerungskultur zum Nationalsozialismus. Dazu kam ich aber eher als durch die Uni durch mein Engagement in der Initiative Dessauer Ufer, die sich für einen Erinnerungsort am ehemaligen KZ-Außenlager Dessauer Ufer in Hamburg einsetzt. In der Initiative forschen wir zur Geschichte des ehemaligen Außenlagers und vermitteln diese in Rundgängen, Veranstaltungen und Veröffentlichungen. Besonders interessiert mich die Kommunikation von historischen Forschungsergebnissen online, deshalb arbeite ich auch am Social Media-Auftritt der Initiative mit sowie am Podcast „Nein gesagt“ der „Projektgruppe Italienische Militärinternierte in Hamburg 1943-45“.

.4. Hattest du von Anfang an bestimmte Vorstellungen für die spätere Berufswahl? Und wenn nicht: Haben sich deine Berufswünsche mit der Zeit entwickelt oder war das nach deinem Studium noch völlig offen für dich?

Nach dem FSJ und auch durch mein Engagement in der Initiative war mir ziemlich schnell klar, dass mich vor allem die Kombination von Forschung und Vermittlung begeistert. Deshalb interessieren mich neben der klassischen Wissenschaft an Universitäten oder anderen Forschungseinrichtungen auch die Arbeitsfelder Museum oder Gedenkstätte sehr. Durch Jobs als studentische Hilfskraft und Praktika habe ich während meines Studiums kleine Einblicke in diese Bereiche erhalten.

5. Hättest du dich am Anfang deines Studiums dort gesehen, wo du gerade beruflich stehst?

Ja und nein: Zwar hätte ich mir sehr gewünscht, direkt nach dem Abschluss in der historischen Forschung zu arbeiten. Aber erstens hätte ich nicht geglaubt, dass das so schnell dann auch klappt und zweitens habe ich mich vorher ehrlich gesagt noch nicht mit Kirchengeschichte beschäftigt. Deshalb hätte ich auch nicht erwartet, in einem Forschungsprojekt zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche zu arbeiten – auch wenn ich mich schon lange für Geschlechtergeschichte interessiere und das Thema sexualisierte Gewalt mich auch in meiner Masterarbeit beschäftigt hat.

6. Kannst du deinen beruflichen Werdegang nachzeichnen und wie du in die Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg und das Forschungsprojekt gekommen bist?

Ich habe während meines Studiums eigentlich immer als studentische Hilfskraft gearbeitet: unter anderem in der Forschungsstelle für Hamburgs (post-)koloniales Erbe, im medizinhistorischen Museum Hamburg und ab 2019 an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. Dorthin gekommen bin ich über die Betreuer*innnen meiner Bachelor- und dann Masterarbeit. Dass es dann mit der jetzigen Stelle geklappt hat, war auch ein wenig Zufall, da die Stelle zum Zeitpunkt meines Abschlusses zu besetzen war.
Als An-Institut der Universität ist die Forschungsstelle nicht direkt Teil der Uni Hamburg, aber eben auch eine wissenschaftliche Einrichtung an der Universität. Zentrales Forschungsthema ist vor allem deutsche Zeitgeschichte mit Blick auf die Geschichte Hamburgs und Norddeutschlands. Als relativ kleines, aber im Moment anwachsendes Institut ist die Forschungsstelle ein super Umfeld, auch für den Berufseinstieg, denn es gibt immer die Möglichkeit zum Austausch mit anderen.

7. Was sind die Aufgaben in deiner aktuellen Tätigkeit?

Die ForuM-Studie ist als interdisziplinärer Forschungsverbund organisiert, in dem neben Historiker*innen unter anderem auch Erziehungswissenschaftler*innen, Sexualwissenschaftler*nnen, Jurist*innen oder Psycholog*innen in verschiedenen Teilprojekten arbeiten. In „meinem“ Teilprojekt versuchen wir aus einer zeithistorischen Perspektive herauszufinden, inwiefern es protestantische Spezifika beim kirchlichen und öffentlichen Umgang mit sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche gibt. Während meine Kolleg*innen an konkreten Fällen arbeiten, beschäftige ich mich auf einer Makroebene mit der Ausbildung von evangelischen Pfarrer*innen in der EKD von den 1960er bis in die 1990er Jahre. Leitend ist für mich dabei die Frage, inwiefern die zukünftigen Pfarrer*innen auf den Umgang mit Macht und Vertrauen; Nähe und Distanz in ihrem Amt vorbereitet wurden. Zu meinen Aufgaben gehört daher vor allem klassische Forschungsarbeit, also die Auswertung und Analyse von Literatur und Quellen.
An meiner Stelle gefällt mir besonders die gesellschaftliche Relevanz: Sexualisierte Gewalt ist omnipräsent. Ihre Entstehungsbedingungen zu erforschen und damit einen kleinen Beitrag zu ihrer Bekämpfung zu leisten, finde ich wichtig.

8. Hast du künftig noch vor, zu promovieren? Und aus welchen Gründen?

Ich bin noch bis Juli 2023 im Projekt, also für 1.5 Jahre eingestellt. Promovieren würde ich danach tatsächlich sehr gerne, da ich große Lust habe, mich mehrere Jahre intensiv mit einer Fragestellung auseinanderzusetzen. Dass ich mich dabei auch schnell in Themen einfinde, die mir bis dahin neu waren, merke ich in meiner aktuellen Stelle. Wichtig wäre mir vor allem, dass es ein Thema ist, in dem ich eine Relevanz erkenne, wie eben auch jetzt. Aber auch die Rahmenbedingungen sind mir aber wichtig, so zum Beispiel die Anbindung an ein Institut oder eine Forschungseinrichtung. Alternativ kann ich mir auch gut vorstellen, mich in Öffentlichkeitsarbeit bzw. Wissenschaftskommunikation weiterzubilden und einen Einstieg in den wissenschaftsnahen Bereich zu versuchen.

9.  Was würdest du als junge Historikerin (Geschichts-)studierenden bezüglich der Berufsoptionen mit auf den Weg geben?

Ganz generell würde ich sagen, dass es wichtig ist, zu wissen, was eine*n selbst interessiert, und das (soweit möglich) auch zu machen – auch außerhalb der Uni, wie bei mir das Engagement in der Initiative –, aber auch offen zu sein für Anderes. Am wichtigsten finde ich die Vernetzung mit anderen – so hat bei mir auch die ehemalige Hilfskraftstelle geholfen, meine jetzige Stelle zu bekommen. Aber Vernetzung und Austausch meine ich auch und vor allem in Bezug auf Personen, die in derselben Situation sind wie man selbst: Für mich war (und ist) es sehr wichtig, Kontakt mit den anderen Absolvent*innen aus meinem Masterstudiengang zu halten und sich über die Erfahrungen bei der Jobsuche oder auch im ersten Job auszutauschen. Das hat mir geholfen, zu merken, dass Selbstzweifel, Unsicherheiten und Ängste die meisten betreffen. Im Austausch mit anderen ist mir auch deutlicher geworden, wie wichtig es ist, sich kritisch mit Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft zu beschäftigen: Befristungen oder entgrenztes Arbeiten – eben alles, was unter #IchBinHanna diskutiert wird. Ich glaube, dass dieser Austausch umso wichtiger ist, wenn man nicht in einem Akademiker*innenhaushalt aufgewachsen ist oder auf andere Art Marginalisierung erfährt. Und ich glaube auch, dass diese Vernetzung umso wichtiger ist in einem Wissenschaftssystem, das auf Vereinzelung aufbaut und Konkurrenz fördert.

Vielen Dank!