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Hamburg: Baugenossenschaften im Nationalsozialismus

Inhaltsverzeichnis

  1. Die Baugenossenschaften im „Systemwechsel“
  2. Die Gleichschaltung: Vereinnahmung für die Volksgemeinschaft
  3. „Organe“ der Wohnungspolitik – Politische Instrumentalisierung: Bedingte Eigenständigkeit und politische Instrumentalisierung
  4. Die Baugenossenschaften im Krieg
„Organe“ der Wohnungspolitik – Politische Instrumentalisierung: Bedingte Eigenständigkeit und politische Instrumentalisierung

In den Aufforderungen zur Gleichschaltung vom Mai 1933 hatten die Nationalsozialisten die Bauvereine als „mittelbare Organe“ ihrer Wohnungspolitik bezeichnet und angekündigt, sich dieser als Instrumente zu „bedienen“. Doch blieb diese Ankündigung zunächst weitestgehend folgenlos. Das Reicharbeitsministerium (RAM) unter Franz Seldte, zuständig für die Wohnungspolitik der NSDAP, verfolgte andere Absichten.1Vgl. für die Wohnungspolitik des RAM: Führer, Karl Christian: Wohnungsbaupolitische Konzepte des Reichsarbeitsministeriums, in: Nützenadel, Alexander (Hg.): Das Reichsarbeitsministerium im Nationalsozialismus, Göttingen 2017, S. 177–213.

Denn, aller Hetze gegen die Weimarer Republik zum Trotz: Der 1930 unter Brüning eingeschlagene Laissez-Faire-Kurs in der Wohnungspolitik war von den Nationalsozialisten im Kern beibehalten worden. Tatsächlich hatte sich ein Vertreter der Hamburger NSDAP am 21. Januar 1933 noch emphatisch dafür ausgesprochen, „dass die Regulierung von Angebot und Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt der Privatinitiative überlassen bleiben soll.“2Zit n. Führer, Karl Christian: Die Machtlosigkeit des Maßnahmenstaates, in: Ebbinghaus, Angelika (Hg.): Kein abgeschlossenes Kapitel: Hamburg im“ Dritten Reich“., Hamburg 1997, S. 366–393. Lediglich indirekte Mittel, in Form der unter Brüning eingeführten Reichsbürgschaften für frei-finanzierte Hypotheken, waren zur Förderung des städtischen Wohnungsbaus vorgesehen. Den von der Krise bereits schwer angeschlagenen Baugenossenschaften nützte dies wenig, da ihnen zumeist die Eigenmittel fehlten, um einen verbürgbaren Kredit aufzunehmen. In Konsequenz nahm die Zahl der Baugenossenschaften in den folgenden Jahren stetig ab, Neugründungen blieben eine Seltenheit.3Kurz nach Kriegsbeginn, 1940, waren von den ehemals rund 4.100 Baugenossenschaften nur noch etwa 2.700 Unternehmen übrig. Stöcker, Heinzgeorg: Die Entwicklungsphasen in der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft unter dem Einfluss der Unternehmungsformen, Bonn 1976 (Schriften des Instituts für Wohnungsrecht und Wohnungswirtschaft an der Universität Köln 45), S. 164–165.

Die Situation auf dem Wohnungsmarkt verschärfte sich angesichts all dessen weiter, auch da infolge der nationalsozialistischen Familien-Förderung und wirtschaftlichen Erholung immer mehr Haushalte auf den Wohnungsmarkt strömten. In den meisten Fällen standen für diese aber nur kaum lebenswerte Altbau-Wohnungen offen. Allein für Hamburg wurde 1934 ein Fehlbestand von rund 25.000 Einheiten ermittelt, Tendenz steigend.4Vgl. für die Entwicklung des Fehlbestandes generell: Pahl-Weber, Elke: Der Wohnungs- und Siedlungsbau in Hamburg, in: Bose et al (Hgg.): „… ein neues Hamburg entsteht …“: Planen und Bauen von 1933 – 1945, Hamburg 1986, S. 86–135.

Wensenbalken Lottbeker Platz
Während in den 30er Jahren der großstädtische Wohnungsbau sehr langsam voranging, sprossen insbesondere an den Stadträndern, wie hier am Lottbeker Platz, Kleinsiedlungen aus dem Boden.
 

Der mangelnde Erfolg in der Bekämpfung der Wohnungsnot blieb auch der Bevölkerung nicht verborgen und wurde von der im Untergrund aktiven Opposition aufgegriffen. So sah sich Hamburgs Gauleiter Karl Kaufmann am 18. Dezember 1934 genötigt öffentlich Stellung zu einem vermutlich aus KPD-Kreisen in St. Pauli verteilten Flugblatt zu beziehen, welches das wohnungspolitische Versagen der NSDAP angeprangert hatte. Sein Versprechen, städtischen Baugrund für 16.000 Wohnungen bereitzustellen, blieb jedoch folgenlos.5Dies nicht zuletzt, da die versprochene Bereitstellung laut Karl Christian Führer für Hamburg einem „finanziellen Aderlass“ gleichgekommen wäre. Führer, Karl Christian: Meister der Ankündigung: nationalsozialistische Wohnungsbaupolitik, in: Hamburg. Im Dritten Reich (2005), S. 432–444, 432.

Stattdessen wandte die NSDAP sich der Sanierung der Neustadt zu, um die dort ausgemachten politischen Gegner auszumerzen. Die dicht bebauten Altbauquartiere der Gängeviertel und Umgebung waren den neuen Machthabern ein Dorn im Auge, „da ungenügende Wohnungsverhältnisse […] zwangsläufig asoziale, staatsfeindliche Elemente“6So der Architekt Gutschow in seinem Vorschlag für die Sanierung des Gängeviertels 1933, zit. n. Schubert, Dirk: Genesung der Städte – Stadtsanierung in Hamburg 1933 – 1945, in: Bose et al.: „… ein neues Hamburg entsteht …“: Planen und Bauen von 1933 – 1945, Hamburg 1986, S. 62–80, 65.. Tatsächlich war die Unterstützung der KPD, folgt man den Wahlergebnissen, hier außergewöhnlich hoch: So zog die KPD im Januar in St. Pauli 1933 etwa 60 % der Wählerstimmen auf sich. Ebd., S. 77. hervorbringen würden. Noch bevor die Finanzierungsfrage endgültig geklärt worden war, wurde daher mit dem Abriss begonnen, die rund 2.500 Bewohner blieben sich selbst überlassen.7Vgl. zur Sanierung des Gängeviertels und dessen Vorläufe in Weimar: Grüttner, Michael: Soziale Hygiene und Soziale Kontrolle. Die Sanierung der Hamburger Gängeviertel 1892-1936, in: Herzig, Arno (Hg.): Arbeiter in Hamburg: Unterschichten, Arbeiter und Arbeiterbewegung seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert, Hamburg 1983, S. 359–373; Schubert: Genesung der Städte – Stadtsanierung in Hamburg 1933 – 1945. Im selben Atemzug fand die NSDAP eine Möglichkeit sich der lokalen Baugenossenschaften als „Organe“ ihrer Wohnungs- und Sozialpolitik zu „bedienen“: Die Allgemeine Deutsche Schiffszimmerer-Genossenschaft und die Deutscher Arbeiter wurden zur Errichtung der Neubauten vertraglich eingespannt.8Schubert: Genesung der Städte – Stadtsanierung in Hamburg 1933 – 1945, S. 68. Darüber hinaus erwähnt Dirk Schubert, ohne eindeutige Quellenangabe, eine „Baugenossenschaft Sorbenstraße“, deren Existenz aber nicht bestätigt werden konnte. In den beim Staatsarchiv digital vorliegenden Namenskarteien für vor 1989 erloschene Genossenschaften war sie nicht ausfindig zu machen, auch nicht unter ‚Bauverein … ‚, ‚Gemeinnützige Baugenossenschaft …‘ oder ähnlichen Begriffen. Dabei kann kein Zweifel daran bestehen, dass die neuen Wohnungen hinsichtlich der örtlichen Wohnqualität eine massive Aufwertung darstellten. Doch zeigt sich hier auch, wie die Nationalsozialist*innen das Bedürfnis an günstigen und lebenswürdigen Heimen für ihre sozialpolitischen Belange instrumentalisieren und die Baugenossenschaften zur Verdrängung der alteingesessen Bewohner nutzen konnten.9Auch wenn sich diese im konkreten Fall letztlich, so Karl Christian Führer, als „sozialpolitische Allmachtsphantasien“ herausstellten: Ohne Kontrollinstrumente über den Wohnungsmarkt – für deren Beseitigung die Nazis vor 1933 noch eifrig agitiert hatten – konnten sich die Vertriebenen einfach auf benachbarte Viertel verteilen, das „Problem“ wurde nur verschoben. Führer: Meister der Ankündigung, S. 437–438.

In dieser diese Weise, das baugenossenschaftliche Eigeninteresse für sozialpolitische Zwecke einzuspannen, kam bereits 1933 ein Prinzip zum Ausdruck, das vor allem ab Mitte 1936 erneut in der reichsweiten Förderung sogenannter Arbeiterwohnstätten Ausdruck fand. Gemeint waren damit Drei-bis-Vier-Zimmer-Wohnungen, „die nach Größe, Art und Ausstattung sowie nach Höhe der Lasten oder Mieten für die Arbeiterschaft bestimmt sind und von dieser benutzt werden.“10Grundsteuergesetz §29, Abs.3 1.12.1936, zit. n. Haben: Berliner Wohnungsbau 1933-1945, S. 433. Diese wohnungspolitische Wende begründete sich nicht allein aus dem angespannten Wohnungsmarkt, sondern vor allem den kriegspolitischen Zwecken des Reiches: Mit dem im Oktober 1936 eingeleiteten Vierjahresplan sollte bis 1940 die Kriegsfähigkeit der deutschen Industrie erreicht werden. Hierdurch erlangte auch die Errichtung von günstigen Arbeiterwohnungen, eben jener Arbeiterwohnstätten, in der Nähe kriegswichtiger Schlüsselindustrien besondere Dringlichkeit, um eine einsatzfähige und sozial befriedete Arbeiterschaft zu gewährleisten. Hitler selbst propagierte noch im selben Jahr den Bau von „eine[r]Million solcher Häuser“, als „Monument“11In seiner Rede verglich Hitler die Kosten eines Arbeiterhauses ausgerechnet mit den Kosten einer Granate, um so die friedensgewandte Perspektive seiner Politik zu betonen: „… wenn ich aber Granaten auf einen Haufen lege, dann ist das noch lange kein Monument.“ Rede aus Siedeln und Wirtschaft 1936, zit. n. Harlander: Zwischen Heimstätte und Wohnmaschine, S. 90–91. seiner Politik.

So wie diese Plakette der Hansa erinnern überall in Hamburg Schilder an Zerstörung und Wiederaufbau alter genossenschaftlicher Häuser.
So wie diese Plakette der Hansa erinnern überall in Hamburg Schilder an Zerstörung und Wiederaufbau alter genossenschaftlicher Häuser.
 

Für die Baugenossenschaften schien durch diese Fördermethode das Finanzierungsproblem gelöst. Tatsächlich nahm ihre Bautätigkeit ab 1936 deutlich zu und erreichte 1937 wieder ein Drittel der gesamten Bautätigkeit.12Vgl. für die zeitgenössischen Zahlen: o.V.: Aktive Baugenossenschaften, in: Zeitschrift für Wohnungswesen, 5 (1938), S. 78–79. In Hamburg konzentrierte sich die gemeinnützige Bautätigkeit dabei vorallem in den industrie- und hafennahen Vierteln wie Wilhelmsburg und Finkenwerder. Dennoch stieg der Fehlbestand der Hansestadt weiter an und kletterte bis kurz vor Kriegsbeginn auf 40.000 Einheiten; die Wohndichte von 3,1 Personen pro Wohnung hatte sich ebenfalls kaum gebessert.13Pahl-Weber: Der Wohnungs- und Siedlungsbau in Hamburg, S. 87–92. Damit war Hamburg durch und durch repräsentativ für die reichsweite Entwicklung, beziehungsweise den begrenzten „Erfolg“ dieser Wohnungsbau-Initiative im Zuge des Vierjahresplans. Der Grund für diese Entwicklung kann deutlich genossenschaftlichen Geschäftsberichten entnommen werden, in denen sich ab 1936 eine neue und eigentümliche Klage häufte: Gelder seien zwar vorhanden, zugleich würde Baumaterial aber immer knapper werden. Kein Zufall, da die Reichsregierung jedwede Hemmungen verlor, wenn es darum ging Baustoffe und Fachkräfte gemäß ihres hemmungslosen Rüstungs- und Repräsentations-Bedarfs zu requirieren. In Hamburg entsprossen aus diesem vor allem auf Prunkbauten entlang der Elbe, die Infrastruktur der Wehrmacht – bis Kriegsbeginn entstanden in der bis zum Oktober 1935 garnisonsfreien Hansestadt Kasernen und Unterkünfte für 15.000 Soldaten14Führer: Meister der Ankündigung, S. 437. – und ab 1940 die Hochbunker.

Schlussendlich mussten vor dem obersten Anspruch des Kriegsbedarfs alle sozialpolitischen Belange weichen. Die Verschärfung des Wohnungsproblems entsprang daher, wie Karl Christian Führer es treffend auf den Punkt bringt, „unmittelbar aus dem Wesen der nationalsozialistischen Herrschaft.“15Führer: Anspruch und Realität. Das Scheitern der nationalsozialistischen Wohnungsbaupolitik 1933-1945, S. 256.

Fußnoten[+]

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