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Ein Stück Kommunismus mitten in Hamburg: Der tschechoslowakische Hafen in Hamburg während des Kalten Krieges

„Nur Handkarren sind erlaubt! Vjezd povolen jen pro ruční vozíky“: Die etwas verwitterten zweisprachigen Schilder auf Tschechisch und Deutsch am Halleschen Ufer im Hamburger Hafen sind Zeugnisse des einst regen Betriebs von Binnenschiffen, die über Jahrzehnte hinweg den Gütertransport über die Elbe zwischen Hamburg und der Tschechoslowakei stemmten. Das galt auch für die Zeit des Kalten Krieges, auch wenn, wie im Folgenden zu sehen sein wird, neben wirtschaftlichen Überlegungen nun besonders ideologische Aspekte den Ablauf des tschechoslowakischen Hafenbetriebs prägten.

Ein Stück Kommunismus mitten in Hamburg
 

Die Gründung des tschechoslowakischen Hafens in Hamburg

Auf der Fahrt mit dem Zug von Bremen nach Hamburg kommt man kurz nach der Station Hamburg-Harburg linkerhand an einem modernistischen Gebäude mit Glasfassade auf weitgehend einsamer Flur vorbei. Dieses Gebäude ist Teil des tschechischen (vormals tschechoslowakischen) Hafens in Hamburg. Seit Herbst 1929 aktiv, wurde er über Jahrzehnte von tschechischer und von deutscher Seite als das „tschechoslowakische Tor zur Welt“ wahrgenommen, war er doch ein zentraler Umschlagplatz von Gütern, die über die Elbe mit Binnenschiffen (später dann zunehmend auch mit LKWs) von der Tschechoslowakei nach Hamburg transportiert wurden und dort auf seetaugliche Frachtschiffe verladen wurden. Das galt auch für die Zeit des Kalten Krieges, als der „Eiserne Vorhang“ an der deutsch-deutschen Grenze nur wenige Dutzend Kilometer östlich von Hamburg verlief und sich somit der Hafen und dessen tschechoslowakisches Mutterland in den zwei konträren Blöcken der neuen Weltordnung wiederfanden. Welche Auswirkungen das für den Betrieb im tschechoslowakischen Hafen in Hamburg vor allem in den ersten Jahren des Kalten Krieges hatte, soll im Folgenden beleuchtet werden.

Doch zuerst ein Rückblick darauf, wie der tschechoslowakische Hafen nach Hamburg kam. Die hundertjährige Geschichte des Hafengebiets geht auf den Ausgang des Ersten Weltkriegs zurück. Der neu gegründeten Tschechoslowakei wurde 1919 im Versailler Vertrag, der die Nachkriegsordnung Europas definieren sollte, das Recht auf ein Pachtgebiet sowohl im Hafen Hamburg als auch in Stettin international zugesichert. Diese Gebiete sollten „dem unmittelbaren Durchgangsverkehr der Waren von oder nach diesem Staate dienen“.1Der Friedensvertrag von Versailles nebst Schlußprotokoll und Rheinlandstatut sowe Mantelnote und deutsche Ausführungsbestimmungen. Mit Inhaltsübersicht und Sachverzeichnis nebst einer Übersichtskarte über die heutigen politischen Grenzen Deutschlands. Neue durchgesehene Ausgabe in der durch das Londoner Protokoll vom 30. August 1924 revidierten Fassung. Berlin 1925, Art. 363. Die den Hafen betreffenden Paragraphen 363 und 364 des Versailler Vertrags waren so rechtsbindend wie ungenau. Aussagen zu Größe, Ausstattung, geographischer Lage sowie Pachthöhe wurden auf spätere Verhandlungen vertagt. Vor allem die Frage danach, ob die zu pachtenden Hafengebiete als deutsches oder als tschechoslowakisches Hoheitsgebiet zu führen seien, also ob letztendlich der Hafen als exterritoriales Gebiet der Tschechoslowakei angegliedert werden sollte, führte zu langwierigen Verhandlungen, die erst 1929 mit der Unterzeichnung eines Pachtvertrags zwischen Hamburg und der Tschechoslowakei beendet wurden.2Zur Gründungsgeschichte des tschechoslowakischen Hafens in Hamburg siehe weiterführend Sarah Lemmen: Bohemia by the sea: establishing a Czechoslovak port in Hamburg in the interwar period, in: European Review of History/ Revue européenne d’histoire, 27:6 (2020), S. 809-823. Somit ging das Hafengebiet privatrechtlich an die Tschechoslowakei, blieb aber weiterhin deutsches Staatsgebiet. Der Vertrag wurde auf 99 Jahre unterschrieben und beinhaltete Flächen am Moldauhafen und am Saalehafen, beide im Hamburger Freihafen gelegen, mit einer Fläche von ca. 28.500 qm. Hier wurden die Ladungen der Binnenschiffe entgegengenommen und entweder in den Schuppen zwischengelagert oder direkt auf Frachtschiffe verladen, die von Hamburg aus der ganzen Welt anfuhren. Ebenfalls erwarb die tschechoslowakische Regierung ein Gebiet außerhalb des Freihafens am Peutehafen, das vor allem für die Verwaltung und für die Reparaturwerkstatt genutzt wurde.3Staatsarchiv Hamburg, 326-2 I/131, Dokument „Kaufvertrag über das Gelände zwischen Peutehafen und Peuter Kanal“, 6.12.1929.

Die zweisprachigen Schilder sind Zeugnisse des einst regen Betriebs
 

Im Krisenmodus: Die 1930er und 1940er

Hamburg wurde bald zentraler Umschlagplatz von Gütern in die und aus der Tschechoslowakei. Unter der Leitung der Firma Československá plavební akciová společnost Labská (Tschechoslowakische Elbeschiffahrtsaktiengesellschaft, ČPSL) wurden auf diesem Wege unter anderem Getreide, Fette, Öle sowie Erze importiert, während Waren wie Zucker, Kohle, Getreide, Holz oder Glaswaren zu den führenden Exportgütern gehörten.4Elbeschiffahrt, in: Die Zeit, Nr. 17, 13.06.1946, online unter https://www.zeit.de/1946/17/elbeschiffahrt (11.07.2021).

Die Radikalisierung der internationalen Politik, symbolisiert besonders durch die Machtergreifung Adolf Hitlers im Jahr 1933, beeinflusste auch die Arbeit am Saale- und Moldauhafen. Dennoch fungierte das Hafengebiet weiterhin als Umschlagplatz von Gütern von und nach Prag, dies auch über die Zerschlagung der Tschechoslowakei, den Einmarsch deutscher Truppen in Prag und die Ausrufung des „Protektorats Böhmen und Mähren“ im März 1939 hinaus, wenn auch nun mit dem deutschen Reichsprotektor in Prag als Pächter.5Staatsarchiv Hamburg, 134-3 I/144, Dokument „Abschluss eines neuen Pachtvertrages über das der ehemaligen tschecho-slowakischen Republik gehörige Pachtgelände“. Drucksache für die Senatsberatung Nr. 13, verteilt am 11.3.1942. Das Kriegsende sah dagegen eine vorläufige Pause für den Warentransport zwischen der Tschechoslowakei und der Nordsee. Hamburg und der Hamburger Hafen waren in weiten Teilen völlig zerstört, und auch der Saale- und Moldauhafen waren davon nicht ausgeschlossen.6Zur Ausgangslage Hamburgs nach dem Zweiten Weltkrieg und zu dessen Wiederaufbau siehe Strupp, Christoph: The Port of Hamburg in the 1940s and 1950s: Physical Reconstruction and Political Restructuring in the Aftermath of World War II, in: Journal of Urban History (2019), S. 354-372; sowie Geffken, Rolf: Arbeit und Arbeitskampf im Hafen. Zur Geschichte der Hafenarbeit und der Hafenarbeitergewerkschaft (Bremen: Edition Falkenberg, 2015), S. 72. Erst ab 1946 wurde langsam ein regelmäßiger Warenverkehr zwischen Hamburg und Prag wiederaufgebaut.

Kommunismus und Kalter Krieg am Moldauhafen

Mit der kommunistischen Machtübernahme in der Tschechoslowakei im Februar 1948 und der Zuspitzung des Kalten Kriegs änderte sich die Lage des tschechoslowakischen Hafens in Hamburg grundlegend. Mit der Entstehung des „Eisernen Vorhangs“ kurz hinter Hamburg war die Elbmetropole von ihrem Hinterland abgeschnitten, das entlang der Elbe nicht nur den östlichen Teil Deutschlands, sondern auch die Tschechoslowakei und weitere Länder Ostmitteleuropas umfasste. Für die Tschechoslowakei bedeutete dies, dass ihr „Tor zur Welt“ nun im kapitalistischen Block lag und unter besonderer politischer Beobachtung stand.

Im täglichen Betrieb im Moldauhafen selbst waren Auswirkungen der politischen und wirtschaftlichen Veränderungen nur allmählich zu spüren. Erst im Januar 1949 wurde das Unternehmen, nun unter dem Namen Československá plavba labská, národní podnik (Tschechoslowakische Elbeschifffahrt, Volksbetrieb; ČSPL), verstaatlicht.7Národní archiv České republiky (Nationalarchiv der Tschechischen Republik, im Folgenden NAČR), Bestand Úřad předsednictva vlády – běžná spisovna, Karton 665 (Signatur 643/10/2), Dokument „Vládní nařízení, jimž se vydává organisační statut národního dopravního podníku ‚Československá plavba labská, narodní podnik‘“, 30.5.1949. Der daraufhin angestrebte Austausch von Hafenarbeitern8Im Untersuchungszeitraum – und weit darüber hinaus – war Hafenarbeit sowie der Beruf des Schiffers weitgehend ein Männerberuf, und auch der tschechoslowakische Hafen in Hamburg machte hier keine Ausnahme. Dagegen waren Frauen durchaus in der Hafenverwaltung beschäftigt, so in der Buchhaltung, im Sekretariat oder als Stenotypistinnen. Diese Geschlechterrealitäten im Berufsleben der 1950er Jahre reflektiert der Text auf sprachlicher Ebene durch die gezielte Verwendung der weiblichen und männlichen Formen von Personenbeschreibungen., Schiffern sowie der Leitungsebene der Zweigstelle Hamburg nach ideologischen Kriterien und politischem Parteibuch gestaltete sich wesentlich schwieriger, nachdem die britische Besatzungsmacht in Hamburg die Ausstellung von so genannten „permits“, also Dokumenten, die für den Eintritt in die britische Zone notwendig waren, für neue Mitarbeiter*innen im tschechoslowakischen Hafen deutlich verzögerte und manchmal auch gar nicht ausstellte.9Archiv bezpečnostních složek (Archiv der Staatssicherheit, Tschechische Republik, im Folgenden ABS), Bestand Historický fond Státní bezpečnosti H-135, Bericht „Anglické úřady v Hamburku – opatření proti československé plavbě“, 2.8.1949. Eine mehr pragmatische als ideologisch einwandfreie Lösung fand die Leitung des Unternehmens schließlich in der Anwerbung von deutschen Hafenarbeitern, die im Gegensatz zu ihren tschechischen Kollegen einer eher oberflächlichen Prüfung ihrer Täterschaft im Nationalsozialismus, aber keinem kommunistischen Gesinnungstest unterlagen.10ABS, H-135, Bericht „Tendence pronikání Němců do ČSPL”, 15.8.1951. Die neuen Regeln der politischen Konformität waren somit für tschechische und für westdeutsche Arbeitern unterschiedlich ausgelegt.

Schon früh wurden sowohl von der Betriebsleitung als auch vonseiten der Hafenarbeiter Stimmen laut, die von einem sozialistischen Betrieb mehr Unterstützung für seine Mitarbeiter*innen erwarteten. Fehlende Sanitäranlagen oder Personal in zerrissener Kleidung ließen, so der Vorwurf, den Betrieb als „Repräsentant des Sozialismus“ und als Vorreiter in sozialen Belangen der Arbeiter*innen schlecht aussehen.11Siehe beispielhaft ABS, H-135, Bericht „Zpráva ze služebních cesty ředitele ČSPLO soudruhu Jar. Kzsela do západního Německa a NDR, vykonaná ve dnech 24. srpna 1954 – 9. září 1954”, Archivpaginierung 88. Nicht alle Forderungen wurden erfüllt. Dennoch sollte die Einführung von neuen Uniformen im Jahr 1953 für ein gepflegteres und repräsentatives Erscheinungsbild sorgen,12Pracovní a disciplinární řád a služební předpis o stejnokrojích a pracovních oděvních součástkách pro zaměstnance ČSPLO, n.p., platný od 3. dubna 1953, Praha: Československá plavba labsko-oderská 1953. und bereits im Jahr 1952 konnte das „Kulturschiff“ im Saalehafen ankern, das als schwimmendes soziales Zentrum des tschechoslowakischen Hafens den Arbeiter*innen endlich Wasch- und Übernachtungsmöglichkeiten, eine Bibliothek und einen Versammlungsraum sowie eine Kantine bot, die bei den Mitarbeiter*innen besonders beliebt war.13Siehe den Vorgang zum Erwerb eines so genannten „Kulturschiffes“ in der ersten Hälfte der 1950er Jahre in NAČR, Bestand Ministerstvo Dopravy II, Signatur 14197-37381.

Neben dieser internen Reorganisation des Hafenbetriebes stellte sich für die Unternehmensleitung auch die Frage nach dem Schutz vor „äußeren Feinden“ im Kalten Krieg. Schon bald nach der kommunistischen Machtübernahme wurden Vermutungen geäußert, dass westliche Geheimdienste – der britische, amerikanische, französische und seit 1956 auch der westdeutsche – das tschechoslowakische Hafengebiet überwachten und dort auch Einfluss zu nehmen suchten. Vermutungen wurden angestellt, dass sich westliche Provokateure unter die Arbeiter mischten, dass tschechischen Schiffern, Hafenarbeitern und teilweise auch deren Familien Fluchthilfe geboten wurde, oder dass es zu einer regelmäßigen Spionage des Hafenbetriebs kam.14Siehe als Beispiel ABS, Bestand II. správa Sboru národní bezpečnosti Praha – Správa kontrarozvědky (A34-1972), Bericht „Podklady pro rozbor práce po linii vodní dopravy“, 11.6.1962. Um dem entgegenzuwirken, wurde auch die Überwachung des Hafengebiets seitens der tschechoslowakischen Staatssicherheit aufgestockt, die vor Ort über Mitarbeiter*innen und Informant*innen verfügte. Letztendlich galt die Überwachung aber mehr den eigenen Mitarbeiter*innen und Delikten wie Schmuggel oder Schwarzmarktgeschäften denn der Aufdeckung internationaler Spionageakte.15Siehe beispielhaft ABS, Bestand H-135, Bericht „Výpověď ing. Josefa Fořta, nar. 11.12.1905 v Plzni, generálního konsula v Hamburku“, ohne Datum (vermutlich Anfang 1951).

Hamburg als „größter tschechoslowakischer Hafen“

Ab den späten 1950er Jahren normalisierte sich das Verhältnis zwischen tschechoslowakischen Vertreter*innen auf der einen Seite und westdeutschen Vertreter*innen auf der anderen. Vor allem Repräsentant*innen Hamburgs warben stark für den Ausbau wirtschaftlicher Beziehungen zum Ostblock und versuchten, den Umschlag von Gütern aus und in die Tschechoslowakei kontinuierlich zu erhöhen, auch mit werbewirksamen Veranstaltungen wie den „Hamburger Wirtschaftstagen“ in Prag. Dies spiegelte sich auch in den Zahlen wider: Von gut 550.000 Tonnen Gütern im Jahr 1950 stieg der Transitverkehr im Jahr 1979 auf seine Bestmarke von über 3.310.000 Tonnen.16Jakubec, Ivan: Československo-německé vztahy v období studené války se zvláštním zřetelem na železnici a labskou plavbu (1948/1949-1989), Praha 2006, S. 143-145. Die guten wirtschaftlichen Beziehungen mit Prag betonte der damalige Hamburger Wirtschaftssenator Helmuth Kern im Jahr 1968, als er Hamburg als den „größte[n] tschechoslowakische[n] Hafen“ bezeichnete.17„Auch die Tschechoslowakei ist eine Reise wert“, Hamburger Abendblatt 2.4.1968, online abrufbar unter https://www.abendblatt.de/archiv/1968/article201053227/Auch-die-Tschechoslowakei-ist-eine-Reise-wert.html (11.07.2021).

Ein Blick auf den verlassenen Hafen
 

Seit den 1980er Jahren ließ die Transittätigkeit der Tschechoslowakei über Hamburg nach. Nach der Wende im Jahr 1989 und der Privatisierung der ČSPLO im Jahr 1992 führte schließlich die Insolvenz des Unternehmens im Jahr 2002 zu einem Stillstand im Saale- und Moldauhafen. Der Pachtvertrag läuft allerdings noch bis 2028, und in den Hamburger Lokalmedien wird berichtet, dass der tschechische Pächter auch darüber hinaus weiterhin Interesse an einer Präsenz im Hamburger Hafen hat.18Sprengel, Bernhard: Der Moldauhafen – ein Stück Tschechien in Hamburg, Die Welt 17.02.2014. Online abrufbar unter https://www.welt.de/regionales/hamburg/article124938234/Der-Moldauhafen-ein-Stueck-Tschechien-in-Hamburg.html (11.07.2021).

Fußnoten[+]