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#MuseumAtHome: Hamburgs Ausstellungshäuser in Zeiten der Pandemie

Nach monatelanger Schließung öffneten im März bundesweit die ersten Museen und Ausstellungshäuser wieder ihre Türen, die ersten waren aufgrund erhöhter Inzidenzwerte allerdings nach wenigen Tagen gezwungen, wieder zu schließen und auf ihre Online-Formate umzustellen. Doch wie wird sich die neue Digital-Offensive der Häuser verändern, wenn Besuche vor Ort langfristig wieder möglich sind? Fest steht, die Corona-Pandemie wird auch in der Museumslandschaft nachhaltig Spuren hinterlassen.

Virtueller Rundgang über die PEKING
 

Nach über einem Jahr Pandemie ist die Digital-Müdigkeit bei vielen Menschen groß. Die ersten Tage mit frühlingshaften Temperaturen trieben auch die Hamburgerinnen und Hamburger aus den Häusern. Endlich raus, weg vom Bildschirm! Dass der Spaziergang an der Alster zum Hindernislauf wurde, war für viele ein kleiner Preis für die neu gewonnene Freiheit. Passend zu dem erstarkten Bewegungs- und Erlebnisdrang, öffneten nach mehreren Monaten Schließung auch die ersten Museen und Ausstellungshäuser in der Stadt wieder ihre Türen. Mit großem Aufwand – und oftmals auch mit hohen Kosten verbunden – haben sie sich in den vergangenen Wochen auf die Öffnung vorbereitet, haben Hygienekonzepte ausgearbeitet, Personal geschult und Ausstellungsflächen umgestaltet. Von dem Erlebnis eines klassischen Ausstellungsbesuchs wie in Zeiten vor der Sars-Cov-2 Pandemie war dieses Szenario immer noch weit entfernt. Abstandsregeln und Masken blieben, die Anzahl an Besucherinnen und Besuchern war stark begrenzt, viele Hands-On- und Medienstationen waren außer Betrieb und an Veranstaltungen und Gruppenangebote vor Ort war vorerst nicht so schnell zu denken.

Im Gegensatz dazu standen viele kleinere Häuser außerhalb von Ballungsräumen vor der Frage, ob sich, solange der Tourismus noch brach liegt, überhaupt eine Öffnung lohnt. Selbst das Medizinhistorische Museum hatte mit einer Öffnung gezögert. Doch auch im städtischen Bereich schwebte über allem freudigen Aktionismus die Frage: Wer wird kommen? Wie hoch im Kurs steht ein Museumsbesuch tatsächlich, nachdem viele Menschen monatelang auf Freunde und Familie verzichtet haben? Die Freude über die Öffnungen währte zumindest in Hamburg denkbar kurz, diese Fragen konnten in der kurzen Zeit kaum beantwortet werden.

In dem vergangenen Jahr haben Museen und andere kulturelle Einrichtungen in Hamburg, Deutschland und der ganzen Welt eine Fülle von kreativen, innovativen, leicht zugänglichen und oft kostenfreien Digital-Angeboten geschaffen, die sich bequem vom heimischen Sofa abrufen lassen und viel Zuspruch erfahren. In dieser Zeit haben auch die Besucher*innen – aller Digital-Überdrüssigkeit zum Trotz – neue Angewohnheiten und Bedürfnisse entwickelt. Jetzt heißt es zwar erstmal wieder zurück zu diesen Angeboten, doch es stellt sich auch die Frage,  wie schwer der Rückgang in einen normalen Museumsalltag wird, vor allem für Besucher*innen und Kulturinteressierte, die sich an die schnelle und einfache digitale Verfügbarkeit von musealen Inhalten gewöhnt haben?

Innovation durch Krise

Die Corona-Pandemie hat die Museen finanziell unterschiedlich stark getroffen. In der Befürchtung, durch die Schließung langfristig ihre Community zu verlieren, haben die Häuser jedoch gleichermaßen gelitten. Museen überleben heute längst nicht mehr allein durch Individualbesucher*innen. Verstärkt setzen sie darauf, sich als Marken zu etablieren. Dazu gehören regelmäßige Events ebenso wie eigenes Merchandise, in einigen Fällen auch der professionelle Einsatz der sozialen Medien und ambitionierte Digital-Projekte, um die eigene Reichweite zu erhöhen. Dennoch, das Museum ist häufig immer noch ein sehr analoger Raum, der auf das Erlebnis vor Ort setzt, sich in Teilen auch als Gegenkonzept zur immer digitaler werdenden Welt versteht.

Daher überrascht es, wie flexibel viele Häuser im März vergangenen Jahres auf die Schließungen mit digitalen Angeboten reagiert haben. Spätestens, als sich im Herbst erneut ein Lockdown ankündigte, wurde vielerorts auf virtuelle Events umgestellt oder das bestehende digitale Angebot ausgebaut. In den Filterblasen der kulturellen Communities trendeten plötzlich Hashtags wie #MuseumAtHome oder #ClosedButOpen. Mit einfachen, aber kreativen Einfällen bemühten die Museen sich, die Zuhausegebliebenen zu unterhalten, ihnen in Erinnerung zu bleiben und den Optimismus zu bewahren. Sie präsentierten Sammlungsstücke in Videos online, beschenkten ihre Follower*innen mit historischen Bildern von Blumensträuße oder riefen wie die Kunsthalle in Challenges dazu auf, mit Alltagsgegenständen bekannte Kunstwerke nachzustellen und somit partizipativ mitzuwirken. Institutionen wie Besucher*innen erwiesen sich dabei als gleichermaßen experimentierfreudig.

Bemerkenswert ist, dass nicht unbedingt die Häuser mit der größten finanziellen Feuerkraft und Digitalerfahrung die besten Formate angeboten haben. Ein Grundsatz der Vermittlung im analogen Raum – individuelle Zugänge zu schaffen und persönliche Ansprache sind oft nachhaltiger erfolgreich als Hochglanz-Formate – scheint auch in der digitalen Welt Gültigkeit zu besitzen. Natürlich freut sich der*die virtuelle Museumsbesucher*in, wenn das Bild scharf ist, der Ton nicht knistert und der*die Ausstellungsguide auch im Video-Chat seine*ihre Erzählung spannend vortragen kann. Die vielen neuen Möglichkeiten, Kultur zu entdecken, machten die Startschwierigkeiten in den digitalen Raum für museale Einrichtungen und Gedenkstätten aber oft mehrfach wett.

Demokratisierung von Kultur und Wissen

In der Arbeitswelt wird seit dem vergangenen Jahr oft von dem „new normal“ gesprochen, dass die bleibenden Veränderungen durch Corona in der Zeit nach der Krise beschreibt. Doch auch die Gestaltung der Freizeit wird sich nachhaltig verändern: Nie war es so leicht, sich kurzentschlossen einen Vortrag am anderen Ende der Republik anzuhören. Noch nie wurden so viele hochwertige Kulturangebote kostenlos im Netz zur Verfügung gestellt. Bevor man sich in der Zukunft für eine Konferenz, einen Ausstellungsbesuch oder ein Konzert in den Zug setzt, wird man sich zweimal überlegen, ob man die Fahrt antritt. Im Digitalen gibt es immerhin keine Reisekosten, kein Schlange stehen und keine Abstandsregelungen.

Virtueller Rundgang durch die Kunsthalle Hamburg
 

Nicht zu vergessen, dass durch die mehrere Monate andauernden „digital oder gar nicht“-Verhältnisse viele neue Personengruppen den Sprung ins Digitale gewagt haben. Andere haben durch die neuen virtuellen Kulturangebote ganz neue Wege zur gesellschaftlichen Teilhabe erfahren. Natürlich sind auch an die digitale Teilhabe eine ganze Reihe von Voraussetzungen geknüpft, von der Verfügbarkeit eines eigenen Endgeräts und Internetabschlusses bis zu dem Wissen, damit umzugehen und überhaupt von diesen Angeboten angesprochen zu werden. Dennoch: Zur Demokratisierung von Bildung- und Kultur hat der Digitalisierungsschub sicherlich beigetragen.

Digitalisierung als Gesellschaftsaufgabe

Es spricht also eine Fülle an Argumenten dafür, dass das Digitale in der Museumslandschaft dauerhaft verankert werden sollte und es gibt genauso viele Anzeichen dafür, dass dies auf lange Sicht auch so sein wird. Die neuen Formate können und sollen die analogen Angebote in den Häusern vor Ort nicht ersetzen. Vielmehr sollen sie einander ergänzen. Die besten Umsetzungen werden solche sein, die Querverbindungen schaffen und einen nahtlosen Übergang zwischen den Welten ermöglichen. Dafür aber müssen Museen und ihre Communities jedoch gemeinsam daran arbeiten, dass digitale Formate als gleichrangig zu analogen Angeboten angesehen werden. Denn die Erlebnisse, die sie erzeugen, sind nicht weniger wertvoll, ihre Inhalte nicht weniger wissenswert und ihre Produktion nicht weniger aufwendig. Das Digitale ist kein Notnagel für Corona-Zeiten.

Besucher*innen sollten das anerkennen und dazu bereit sein, auch für digitale Angebote zu bezahlen, ob mit Geld oder den Währungen der sozialen Medien: Likes und positiven Bewertungen. Und die Museen sollten zukünftig noch selbstbewusster mit ihrer virtuellen Präsenz umgehen. Sie sollten in den Statistiken, die am Jahresende gnadenlos die Reichweite und damit die Relevanz eines Ausstellungshauses bewertet, jeden digitalen Besuch genauso zählen, wie einen vor Ort. Einige Häuser gehen mit eigenen Mission Statements zu ihrer digitalen Strategie mit gutem Beispiel voran, erkennen die Notwendigkeit neuer Berufsfelder und schaffen die Stellen dafür. #MuseumAtHome wird uns also weiterhin begleiten.  Damit dieses Modell jedoch gelingt, sind aber auch die staatlichen Fördergelder gefragt, die neuen Gegebenheiten und auch Herausforderungen anzuerkennen und zu unterstützen. Die digitale Welt funktioniert auch in diesem Punkt ganz ähnlich wie die analoge, nämlich nur, wenn alle mit anpacken.

Ein Spaziergang über das Deck einer historischen Viermastbark oder doch lieber in die Prähistorie Hamburgs?

Ungeachtet dessen, dass sich Interessierte anhand der musealen Online-Formate bequem vom Sofa aus quer durch die Republik bewegen können, wollen wir doch auf besondere digitale Angebote kultureller Einrichtungen aus der Hansestadt verweisen, die vielleicht sogar einen Besuch vor Ort anregen, sobald dies wieder möglich ist. Dank Google Arts & Culture, einer international vernetzten digitalen Kulturdatenbank, die schon seit 2011 besteht und Einblicke in Museen und Ausstellungen gewährt, werden sogar 3-D Rundgänge möglich. Diese Methode nutzen beispielweise die Kunsthalle Hamburg, das Hafenmuseum und das Archäologische Museum. Dabei regen diese Rundgänge nicht nur zum ersten, neuen „Kennenlernen“ an, sondern können sogar dem Nostalgiegefühl ihrer sonst regelmäßigen Besucher*innen entsprechen. Sicherlich ist es nicht dasselbe, virtuell über das imposante Treppenhaus im Foyer der Kunsthalle zu schreiten und durch die prächtigen Ausstellungsäle zu flanieren – ein wenig Sehnsucht nach Caspar David Friedrich vermag das Format dennoch zu stillen.

Als im September 2020 die Viermastbank „Peking“ zu ihrer künftig letzten Anlegestelle im Hansahafen geleitet wurde, war schon vorher bekannt, dass sie für Besucher*innen wahrscheinlich erst im Sommer 2021 begehbar werden kann. Hier hatte die Pandemie sogar einen Vorteil: Denn Interessierte können bereits seit einigen Wochen zumindest virtuell über das Deck des historischen Schiffes spazieren. Hier noch unentdeckte Einblicke zu erhalten, macht den Reiz des virtuellen Rundgangs wohl besonders aus. Auch qualitativ steht der 3-D Rundgang anderen virtuellen Begehungen in nichts nach und besticht durch imposante Bilder des Schiffes, aber auch des Hamburger Hafens. Ob Kunst oder doch Objekte aus der maritimen Geschichte Hamburgs, die Stiftung Historische Museen Hamburgs hat die Online-Formate ihrer Häuser auf ihrer Website zusammengefasst.

Wer sich von konventionellen Ausstellungsthemen nicht angesprochen fühlt, sollte es mit der nicht nur unter Tattoo-Fans überaus beliebten Tattoo-Ausstellung „Tattoo-Legenden: Christian Wahrlich auf St. Pauli“ versuchen. Die moderne, aber auch schlicht gehaltene Ausstellung, in der die Tattoo-Motive Wahrlichs unaufdringlich im Vordergrund stehen, kann ebenso virtuell eingesehen werden, ohne große Einbußen hinsichtlich des Ausstellungsflairs. Wer sich eher für Fußball interessiert, kann in der digitalen Ausstellung des FC St. Pauli Museums zur Vereinsgeschichte im Nationalsozialismus im Rahmen ihres Projektes „Klare Kante gegen rechts“ fündig werden.

Virtueller Rundgang durch die Tattoo-Ausstellung
 

Wer sich generell für die NS-Geschichte Hamburgs interessiert, dem*der sei die schon 2016 veröffentlichten Ausstellungsrundgänge der KZ-Gedenkstätte Neuengamme ans Herz gelegt. Neu hinzugekommen als digitales Format ist die Online-Vortrags-Reihe #closedbutopen, in der thematische Vorträge online gehalten und parallel aufgezeichnet wurden. Ergänzt wird das Format durch die Reihe #whatmovesmemost, in der feste wie freie Mitarbeiter*innen der Gedenkstätte die Objekte vorstellen, die sie am meisten bewegen, diese werden vor allem über die Social Media Kanäle der Gedenkstätte bespielt. Beeindruckend ist das Gedenkprojekt, welches die ausgefallene Gedenkfeier zum 75. Jahrestag der Befreiung des KZ Neuengamme ersetzt. Das Portal versammelt unter der Leitfrage „Was bedeutet der 75. Jahrestag der Befreiung für mich?“ die Antworten sowie Grußworte und Reden von Überlebenden, Politiker*innen, Vertreter*innen der Häftlingsvereinigungen und auch der Angehörigen von Überlebenden. Die Videos wurden transkribiert und sind in verschiedenen Sprachen verfügbar.

Obwohl dies nur ein kleiner Abriss digitaler kultureller Angebote aus der Hansestadt Hamburg ist, so ist es doch beachtlich, was sich am virtuellen Kulturhimmel für eine Bandbreite an vielfältigen Angeboten etabliert hat. Bemerkenswert ist auch, wie schnell die Häuser auf die neuen Umstände reagiert haben. Doch wie bereits erwähnt, ist es essentiell, dass museale Einrichtungen auch nach der Pandemie langfristig mit derselben Energie an innovativen digitalen Angeboten arbeiten. Die Pandemie ist aktuell ein Faktor, der die Herausforderung der allgemeinen Digitalisierung nur verstärkt. Auch ohne Lockdown sind Museen und Gedenkstätten gefragt, an zukunftsorientierten Digitalstrategien zu arbeiten, um sich ihre Community zu erhalten. Denn mittlerweile strömen Generationen in die Kulturszene, die technisch sehr anders sozialisiert sind und im Gegensatz zu älteren Jahrgängen gänzlich andere Anforderungen an einen für sie interessanten Museumsbesuch haben. Deswegen kann der aktuelle Digitalisierungsschub in der Kulturbranche nur ein erster Anfang sein.