Das Wochenende vom 12. und 13. Februar 2021 stand in Hamburg ganz im Sinne des Gedenkens – des Gedenkens an eine Opfergruppe, die in der Öffentlichkeit der Hansestadt bislang kaum berücksichtigt wurde, nämlich die der italienischen Militärinternierten.
Obwohl in Hamburg während des Zweiten Weltkrieges bis zu 12.500 internierte italienische Soldaten in verschiedenen Bereichen zur Zwangsarbeit eingesetzt worden waren, kommen sie im öffentlichen Gedenken der Stadt nahezu nicht vor. Dieses fordern zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich mit der Erforschung und dem Gedenken an diese Verfolgtengruppe auseinandersetzen, nun umso stärker ein.
59 Personen hatten sich am 12. Februar 2021 in die virtuelle Kundgebung in Erinnerung an die Menschen eingeschaltet, die im Zeitraum zwischen 1943 und 1945 in der Schule Schanzenstraße im Schanzenviertel untergebracht und in verschiedenen Betrieben in der Umgebung zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden. Darunter waren auch etwa 400 italienische Militärinternierte, deren Schicksal besonders im Vordergrund der Kundgebung stand. Zahlreiche Arbeitsgruppen und Initiativen aus der Hamburger Erinnerungsarbeit wirkten mit.1Die komplette Liste findet sich auf https://sternschanze1942.wordpress.com/2021/01/30/aufruf-zur-virtuellen-kundgebung-am-12-februar-2021-18-uhr-schanzenviertel/.
Am 13. Februar erfolgte dann die Stolperschwellen-Verlegung vor der Burchardstraße 11, die parallel als virtuelle Veranstaltung durchgeführt wurde.2Die Verlegung erfolgte zunächst symbolisch, da eine richtige Verlegung aufgrund der Wetterbedingungen nicht möglich war. Die Stolperschwelle soll an die italienischen Militärinternierten erinnern, die in Lagern im Kontorhausviertel untergebracht und in den benachbarten Rüstungsbetrieben oder in der Trümmerräumung eingesetzt wurden. Nicht nur die Schwellenverlegung an sich, sondern auch die Redner*innenliste zeigt, welche Bedeutung dem Gedenken beigemessen wird. So sprachen Orlando Materassi, der Präsident der A.N.E.I. (Associazione Nazionale Ex Internati), Silvia Pascale, die Geschäftsführerin der A.N.E.I., Dr. Giorgio Taborri, der italienische Generalkonsul für Norddeutschland und Falko Droßmann, der Bezirksleiter von Hamburg-Mitte. Vonseiten der Bauer Media Group, die damals wie heute im Schützenhof in der Burchardstraße 11 angesiedelt ist und in dem ebenfalls italienische Gefangene einquartiert waren, beteiligten sich Andreas Bierling und Ingo Klinge mit Redebeiträgen. Aufgegriffen wurde die Veranstaltung nicht nur in der Presse, sondern beispielsweise auch von Fabio de Masi (MdB), dessen Großvater als Partisan gegen den Faschismus in Italien gekämpft hatte.3Eigene Angabe Fabio de Masis (MdB) unter: https://www.fabio-de-masi.de/de/topic/31.ubermich.html.
Der Wortlaut der Stolperschwelle lautet:
HEINRICH-BAUER-HAUS-ERBAUT-1924
Von 1943 bis 1945 Zwangsarbeiterlager für 700 italienische Militärinternierte
Eingesetzt in Hamburger Unternehmen
Sie wurden ausgebeutet, entrechtet und misshandelt
Die Erinnerung ist uns eine Mahnung – Nie wieder
Bereits am 8. September 2020 hatte eine Kundgebung zur Erinnerung an italienische Soldaten stattgefunden, die zwischen 1943 und 1945 im Hamburger Kontorhausviertel untergebracht waren. Etwa 80 Menschen hörten damals vor Ort die Reden von Dr. Giorgio Taborri, Gabi Dorbusch, der Vorsitzenden im Kulturausschuss und Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft, Berthold Bose, dem Landesleiter der ver.di für Hamburg und Dott. Giuseppe Scigliano, des Präsidenten des Ausschusses der Italiener im Ausland, COM.IT.ES. Auch dort waren wieder zivilgesellschaftliche Initiativen wie die Initiative Dessauer Ufer und AK Distomo mit Redebeiträgen vertreten.
Diese breite Beteiligung zeigt, dass sich mittlerweile zumindest in Anfängen eine deutsch-italienische Interessensgemeinschaft in der Hansestadt etabliert hat, die sich mit viel Engagement für ein Gedenken an italienische Militärinternierte ausspricht. Das Interesse an dieser Opfergruppe erblühte jedoch sehr spät – ein Grund dafür mag sein, dass es lange keine Initiative gab, die sich für ein Gedenken an diese eingesetzt hat. Während die KZ-Gedenkstätte Neuengamme die Schicksale der KZ-Häftlinge in den städtischen Arbeitskommandos aufarbeitet und es vereinzelte Forschungsprojekte zu zivilen Zwangsarbeiter*innen in Hamburg gibt, fehlen nach wie vor gebündelte Bemühungen vonseiten der wissenschaftlichen Institutionen oder Behörden, sich für die Erforschung und Erinnerung an Kriegsgefangene und Militärinternierte einzusetzen oder zumindest finanzielle Mittel bereitzustellen. Obwohl sie die größte Gruppe im Zwangsarbeiter*innensystem darstellten und in zahlreichen Arbeitskommandos in Hamburg und Umfeld eingesetzt waren, lassen sich in Hamburgs öffentlichem Raum kaum Spuren ihrer Schicksale wiederfinden.4Im öffentlichen Raum Hamburgs gibt es zumindest im Wasserpark Elbinsel Kaltehofe ein Mahnmal, das an Kriegsgefangene erinnert, den großen italienischen Ehrenfriedhof in Öjendorf sowie Gedenkstelen auf weiteren Friedhöfen, wie z.B. in Harburg oder Bergedorf.
Das Schicksal der italienischen Soldaten und der „Widerstand ohne Waffen“
„Sie betrachteten uns als ‚Untermensch‘. Die einzigen, die schlechter dran waren als wir, waren die Russen, sie wurden schlechter behandelt als wir. Wir waren die vorletzten“.5Dies berichtet Michele Montagano, der als italienischer Militärinternierter das Stalag X B Sandbostel durchlief. Siehe: Hammermann, Gabriele [Hg.]: Zeugnisse der Gefangenschaft. Aus Tagebüchern und Erinnerungen italienischer Militärinternierter in Deutschland 1943-1945, Berlin 2017, S. 1.
Als die Alliierten am 11. Juli 1943 auf Sizilien landeten und Mussolini durch den Staatstreich am 25. Juli abgesetzt wurde, wurde das bisherige Bündnis zwischen den faschistischen Mächten vom neuen Ministerpräsidenten Pietro Bardoglio aufgekündigt. Die deutsche Wehrmacht entwaffnete daraufhin etwa eine Million italienischer Soldaten und nahm davon rund 800.000 in Kriegsgefangenschaft.6Binner, Jens: Vom Verbündeten zum „Verräter“. Italienische Kriegsgefangene im Stalag X B Sandbostel, in: Ehresmann, Andreas [Hg.]: Das Stalag X B Sandbostel. Geschichte und Nachgeschichte eines Kriegsgefangenenlagers, Hamburg 2015, S. 137. Gabriele Hammermann spricht sogar von 810.000 Männern. Ein Teil davon, zwischen 186.00 und 197.000 Männer, entschied sich, weiter an der Seite des nationalsozialistischen Deutschlands zu kämpfen.7Siehe Hammermann, Gabriele: Zeugnisse der Gefangenschaft, S. 5. So wurden letztlich etwa 600.000 bis 650.000 Italiener in die von der Wehrmacht verwalteten Stammlager in das gesamte Reichsgebiet deportiert. Die völkerrechtswidrige Einordnung der Soldaten als „Militärinternierte“ diente dazu, sie jeglicher Rechte zu berauben und sie in Wirtschaftsbereichen einzusetzen, in denen sie als reguläre Kriegsgefangene nicht hätten arbeiten dürfen. Joseph Goebbels nannte den „italienischen Verrat“ sogar ein „gutes Geschäft“, da er der Rüstungsindustrie über eine halbe Million Italiener als dringend benötigte Arbeitskräfte überlassen wollte.8Siehe ebd., S. 6.
Das Stalag X B Sandbostel sowie sein Zweiglager Stalag X B/Z Wietzendorf waren die größten Durchgangslager für italienische Militärinternierte in Norddeutschland, im September 1943 wurden dort etwa 67.000 italienische Soldaten registriert, die zu großen Teilen sofort in Arbeitskommandos weitertransportiert wurden, viele davon in Hamburg.9Ehresmann, Andreas [Hg.]: Das Stalag X B Sandbostel. Geschichte und Nachgeschichte eines Kriegsgefangenenlagers, Hamburg 2015, S. 120. Wietzendorf war im Zeitraum 1943-44 Zweiglager des Stalag X B, vorher war es ein eigenständiges Stalag (Stalag X D (310) Wietzendorf), ab 1944 fungierte es als Oflag 83. In der Hansestadt wurden sie in der Rüstungsindustrie, bei der Räumung von Trümmern nach den alliierten Bombardierungen oder auch beim Bau von Behelfsunterkünften, den Plattenhäusern, eingesetzt. Im November 1943 wurden alsdann 12.500 „IMI-Soldaten“ in Hamburg gezählt.10Siehe Littmann, Friederike: Ausländische Zwangsarbeiter in der Hamburger Kriegswirtschaft 1939-1945 (Forum Zeitgeschichte, 16), München, Hamburg 2006, S. 581. Anfang 1944 lagen bereits 1.400 Anfragen nach italienischen Militärinternierten seitens der Hamburger Betriebe vor.11Ebd., S. 586.
Im Herbst 1944 wurde reichsweit rund eine halbe Million italienischer Soldaten in ein ziviles Verhältnis überführt, um zwar einerseits ihre Lebensbedingungen zu verbessern, aber vor allem, um sie im Rahmen der letzten großen rüstungspolitischen Mobilmachung verstärkt ausbeuten zu können.12Siehe Hammermann, Gabriele, S. 16.
Die italienischen Militärinternierten standen für das nationalsozialistische Regime sinnbildlich für den „Verrat“ Italiens an Deutschland, auch für weite Teile der deutschen Zivilbevölkerung. Dementsprechend schlecht und entwürdigend war ihre Behandlung. Selbst in ihrem Heimatland stand man dem Schicksal der eigenen Soldaten lange distanziert gegenüber, zu tief lag der Schmerz der italienischen Kapitulation, der durch die Soldaten verstärkt wurde, die weiter für die „Achse Rom-Berlin“ gekämpft hatten. Lange blieb die italienische Geschichtsschreibung und das Gedenken auf die „heldenhafte“ Resistenza beschränkt. Dies änderte sich erst, als überlebende italienische Militärinternierte die Interpretation ihrer Erfahrungen als „Resistenza senz’armi“, „Widerstand ohne Waffen“ durchsetzen konnten.13Ebd., S. 3.
Für unseren Text haben wir ein Interview mit Holger Artus geführt, der sich im Weidenviertel-Initiativkreis engagiert und der regelmäßig Gedenkaktionen (mit-)veranstaltet für die Opfergruppen, die in Hamburg Zwangsarbeit leisten mussten. Er ist zudem einer der Akteur*innen, der insbesondere das Gedenken an die italienischen Militärinternierten einfordert. Das Interview führten Kim Scheffler und Natalia Wollny.
KS: Wie bist du auf das Thema gekommen und warum interessieren dich die italienischen Militärinternierten?
HA: Das war ein Zufall. Ich wusste nicht, dass es in dem Lager im Heinrich-Bauer-Haus im Kontorhausviertel um italienische Militärinternierte ging. Ich wusste nur, dass im Heinrich-Brauer-Haus Zwangsarbeiter waren. Ich hatte nach einem Zwangsarbeiterlager recherchiert und glaubte, dass es möglicherweise ein Lager für das Unternehmen war. Was aber eine falsche Annahme war.
NW: Wo hast du recherchiert? Wo hast du mit deiner Recherche angefangen?
HA: Die Grundquelle war „Die Zwangsarbeit in Hamburg“ [Anm. d. Redaktion: Der vollständige Titel lautet „Ausländische Zwangsarbeiter in der Hamburger Kriegswirtschaft 1939-1945“] von Littmann. Darin war auch ein Verweis, dass es ein Kriegsgefangenenlager in der Burchardstraße gab. Wobei sie das alles nicht zuordnen konnte und beim recherchieren ihrer Quellen bin ich schier verzweifelt, was auch mit der Veränderung der Nummernvergabe im Staatsarchiv zu tun hatte. Ich habe ausschließlich im Staatsarchiv gesucht und mich dort monatelang durchgewühlt. Am Ende habe ich unter der Finanzbehörde recherchiert. Hier fand ich den Nachweis von Zahlungen der Nazis an das Unternehmen. So habe herausgefunden, dass sie ca. 1.400 Reichsmark im Monat bekommen haben. Zur Recherche im Staatsarchiv gehörten auch die Namen der italienischen Militärinternierten. Sie fand ich dann in der Hausmeldekartei. Zum Schluss ist dann noch vieles mehr aufgeploppt, vor allem durch das Arolsen Archiv.
KS: Hast du die Recherche allein vorgenommen oder hattest du Mitstreiter?
HA: Ich habe das komplett allein gemacht, das ist auch praktikabler, wenn man sich im Staatsarchiv durchwühlt. Das Auffinden, das Suchen, also die Struktur zu finden, anhand dessen ich sagen kann, jetzt kann ich einen Faden aufnehmen, ist m. E. mit vielen Umwegen verbunden. Ich hatte aber im Laufe der Recherche mit Historiker*innen, auch von der FZH, Kontakt aufgenommen, um die Dokument richtig in die Zeit und historischen Prozesse einordnen zu können. Von denen gab es immer wieder tolle Impulse.
NW: Warst du selbst auch beschäftigt bei der Bauer Media Group?
HA: Nein. Mein Frau, Kersten, war 35 Jahre bei Bauer gewesen. Sie war Betriebsrats- und Konzernbetriebsratsvorsitzende. Ich selbst war bei der Hamburger Morgenpost beschäftigt. Dort war ich fast 35 Jahre Interessenvertreter. Da es die gleiche Branche ist, Medien, und wir Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sind und zu denen gehört haben, die das Maul aufgerissen haben, gab es auch immer Bezüge für mich zur Bauer Media Group.
NW: Hast du bei der Recherche Schwierigkeiten von Seiten der Bauer Media Group bekommen? Oder gab es von Anfang eine Kooperation?
HA: Bevor meine Frau und ich diese “Bauer-Geschichte” umgesetzt haben, haben wir versucht, über verschiedene Kanäle Kontakt zum Unternehmen aufzunehmen. Aber sie haben nicht reagiert. Ich hatte kein Ärger, aber ich war ja auch nicht Beschäftigter. Wenigstens glaube ich, dass in dem Fall alles anders verlaufen wäre. Am 8. September letzten Jahres, nach einer Kundgebung vor der Bauer Media Group, ist das Unternehmen das erste Mal auf mich zugetreten und hat im Bezug auf meine Unterlagen gesagt, sie würden sie gerne haben. Losgeworden bin ich sie bis heute nicht. Es blieb bis zum 13. Februar 2021 – dem Tag der Stolperschwellen-Verlegung – ein schwieriger Prozess. Im September 2020 hatte Bauer avisiert, sie übernehmen die Restfinanzierung der Stolperschwelle. Im Januar 2021 vollzogen sie eine Kehrtwendung und waren trotz diverser Gespräche und Gesprächspartner nicht mehr dazu bereit. Bis zum vorletzten Tag vor dem 13. Februar 2021, da gab es eine Medienanfrage an Bauer, ob es zutreffe, dass sie die Stolperschwelle nicht bezahlen. Dadurch wurden sie m.E. gezwungen, sich neu zu verhalten und sagten eine Zahlung zu.
NW: War die Stolperschwellenverlegung am 13. Februar eine natürliche Konsequenz der Kundgebung am 8. September? Hat es schon vorher Überlegungen in Richtung von Stolpersteinen oder einer Stolperschwelle, also eines Zeichens dort vor Ort, gegeben?
HA: Als wir im September 2019 bei Bauer angefragt hatten, gab es keine Antwort des Unternehmens. Wir hatten immer verschiedenen Optionen beim Vorgehen im Blick. Am Ende wurde es seit November 2019 die Abfolge: Zuerst die NS-Geschichte über Alfred Bauer – der in der NSDAP war – im Spiegel, dann die Kundgebung am 8. September 2020, dann die Stolperschwellenverlegung. Das war so geplant und so angelegt.
NW: Arbeitest du mit ANEI (Associazione Nationale Ex Internati) zusammen?
HA: Es gibt einen engen Austausch mit ANEI, aber auch anderen Vereinigung in Italien, wie die ANED, die sich mit den italienischen Militärinternierte in den KZ beschäftigen. ANEI konzentriert sich auf die die Italiener in den Zwangsarbeitslagern. Die Herausforderung von ANEI liegt m.E. vor allem in den Anfragen der „Enkel-Generation“ der 1943 gefangen genommen italienischen Soldaten. Nach Angaben von ANEI haben sie 6 – 7 Anfragen pro Tag. Die Datenbestände dort, so mein Eindruck, ist allein auf Grund personeller Ressourcen, nur bedingt gegeben. Ohne unsere „deutsche“ Zuarbeit wüsste ich auch nicht, wie man in Italien sich einen Überblick verschaffen wollte. Ich bin jetzt auch in italienische Foren zu den italienischen Militärinternierten gegangen, in denen tausende italienische Bürger*innen nach den Geschichten ihrer Angehörigen fragen.
NW: Ich glaube, das Problem ist auch, dass es für Kriegsgefangene und italienische Militärinternierte keine große Interessensgemeinschaft gibt und keine Institution, die sich explizit mit ihrem Schicksal beschäftigen würde. Neuengamme beschäftigt sich viel mit den KZ-Häftlingen und durch die Errichtung des denk.mal Hannoverscher Bahnhof auch mit der jüdischen Geschichte und es gibt auch das Institut für die Geschichte der deutschen Juden. Zu den zivilen Zwangsarbeiter*innen gab es Projekte. Aber zu Kriegsgefangenen gibt beispielsweise die Behörde keine Fördermittel. Das Erinnern wird nur durch private Initiativen gemacht.
HA: Neuengamme argumentiert, dass sie nicht zuständig seien. Ich verstehe das auch. Wir führen zudem Gespräche mit der Kulturbehörde. Die interessiert m.E. eine Frage: Was kostet sie das. Diese Rahmenbedingungen sehe ich auch. Ich erlebe Neuengamme nicht nur in Bezug auf die italienischen Militärinternierten, sondern auch in vielen anderen Themen. Ich ziehe den Hut vor allem was sie tun, was sie wissen, wie sie sich bemühen und was für ein Anlaufpunkt Neuengamme ist.
KS: Für dich hängt Gedenken auch mit Entschädigung zusammen?
HA: Für mich muss Gedenken auch von einem Handeln, nicht zwangsläufig Entschädigung, begleitet sein. Allerdings meine ich, dass es einer Entschädigung der italienischen Militärinternierten bedarf. Es ist m.E. eine historische Schuld, die man wenigsten symbolisch mit Entschädigungszahlungen aufarbeiten kann. Ich bereite im Schanzen- und Weidenviertel gerade eine Geschichte für den 2. April vor und beschäftige mich z.B. mit den ermordeten Schülerinnen der Israelitischen Töchterschule. Man sitzt vor diesen Akten und in Teilen schämt man sich, in Teilen ist es einfach nur traurig. Erinnerung heißt auch, traurig sein zu dürfen. Das ist das eine. Aber das andere ist auch, wenn ich nur traurig oder demütig bin, muss ich mich politisch mit Blick auf das heutige Geschehen verhalten. Der AfD, irgendwelchen anderen Rassist*innen, Antisemit*innen darf man den Platz nicht überlassen. Die rassistischen Morde in Hanau sind vor einem Jahr gewesen. Ein Beispiel, wo Rassismus hinführen kann. Für mich heißt diese Art der Erinnerungsarbeit, auch zu gucken, wo finde ich einen ernsthaften Bezug zu dem, was ich heute tun kann.
NW: Die abschließende Frage: Holger, was wäre dein Wunsch für das Gedenken an die italienischen Militärinternierten in Hamburg, in der Hamburger Öffentlichkeit?
HA: Mein Wunsch wäre es, dass es im KZ Neuengamme [Anm. d. Red.: KZ-Gedenkstätte Neuengamme] eine Anlaufstelle gäbe, wo die italienischen Organisationen anfragen könnten. Das Staatsarchiv tut es nicht, kann es nicht, hat vermutlich nicht die Ressourcen dafür. Das ist das eine. Und politisch… Naja, würde ich mir wünschen, dass die Stadt Hamburg sich in verschiedenen Bereichen aufstellt. Es wird überhaupt nicht zu den italienischen Militärinternierte mehr geforscht. Auch wünsche ich mir ein neues Herangehen der Schulbehörde. Die italienischen Militärinternierten sind 1943 auf rund 20 Schulen verteilt worden. Die Schulbehörde sieht es aber nicht als zentrale Aufgabe an, sondern verortet es auf die einzelne Schule. Dabei könnte sie viel machen, vor allem den einzelnen Schulen mit zentralen Recherchen und Projekten helfen, so dass man sich dann damit beschäftigt, ob und was man “vor Ort” macht. Aber ich sehe auch, die italienischen Militärinternierten sind eine kleine Gruppe von Zwangsarbeitern gewesen und es wäre an der Zeit, dass in der Stadt Hamburg zur Zwangsarbeit eine Strategie geschaffen wird, wie das aufbereitet wird. Es sollte nicht alleine der Zivilgesellschaft überlassen werden.
Wir bedanken uns ganz herzlich bei Holger Artus für diese Einblicke in die Erinnerungsarbeit zu den italienischen Militärinternierten, die vor allem Ambivalenzen und Probleme aufzeigen. An sein Plädoyer, mehr Forschung zu IMIs und Zwangsarbeit in Hamburg im Allgemeinen zuzulassen, schließen wir uns an.
Kim Scheffler studiert im Master an der Universität Hamburg Geschichte und schreibt derzeit ihre Masterarbeit unter dem Titel „Von Erbscheinen, Eidesstattlichen Erklärungen und Vergleichen: Die Umsetzung der individuellen Wiedergutmachung am Beispiel jüdischer Harburger Familien 1949-1970“.
Natalia Wollny ist Redakteurin bei Hamburgische Geschichten und betreut unsere Auftritte in den Sozialen Medien. Sie hat in Bremen und Hamburg Geschichte studiert und ist aktuell als Leitungsassistenz an der „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg und als Gedenkstättenpädagogin in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme tätig.
Fußnoten