Die Postcolonial Studies sind bedingt durch aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen auch abseits der historischen Forschung zu einem wichtigen gesellschaftlichen Thema geworden. Egal, ob es um einzelne Identitäten oder um die Verantwortung von Institutionen oder ganzen Staaten geht: Die Geschichtswissenschaft steht nun in der Verantwortung, eine Position zu beziehen.
Umgestürzte Denkmäler gehörten im Jahr 2020 zu regelmäßig gesehenen Bildern. Ausgelöst durch die Black Lives Matter-Bewegung forderten vor allem junge Menschen, die Abbilder des Kolonialismus aus dem öffentlichen Sichtfeld zu entfernen. Häufig wurde dafür gar nicht erst auf ein Vorgehen von offizieller Seite gewartet, sondern selbst Hand angelegt. Entsprechend aufgeladen war die Diskussion, welche auf wissenschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Ebene zu dem Thema des kolonialen Gedenkens geführt wurde. Was dabei jedoch weniger Beachtung fand, war das Thema der kolonialen Straßennamen.
In Berlin wurde beispielsweise die Umbenennung der „Mohrenstraße“ und der Bahnstation „Onkel Toms Hütte“ öffentlichkeitswirksam diskutiert. Es stand die Frage im Raum, warum solche Orte und Plätze mit kolonialem Bezug heute noch eine Berechtigung haben sollten. Als zweite Frage kommt hinzu: Was ist mit Hamburg? Gerade Hamburg sollte doch mit seinem bis heute präsenten post-kolonialen Erbe bei diesem Diskurs im Fokus stehen? Bedingt durch den Kolonialhandel und den Hamburger Hafen war die Hansestadt ein wichtiger Knotenpunkt für die Wirtschaft und Logistik des deutschen Kolonialismus. Bis heute profitiert die Metropole von der früheren Infrastruktur.1Storost, Ursula: Aufarbeitung der Kolonialgeschichte. Hamburgs Reichtum durch den Kolonialhandel, in: https://www.deutschlandfunk.de/aufarbeitung-der-kolonialgeschichte-hamburgs-reichtum-durch.1148.de.html?dram:article_id=485809.
Dazu kommt, dass es zur Zeit des Nationalsozialismus zu einer vermehrten Umbenennung von Straßen in Form einer „Rückbesinnung“ auf den Kolonialismus gekommen ist. Das ist nicht verwunderlich, da die NS-Regierung an koloniale Rechtssysteme anknüpfte und das Konzept des Kolonialismus nach Europa in die besetzten Gebiete übertrug.2Zimmerer, Jürgen: Krieg, KZ und Völkermord und Deutsch-Südwestafrika. Der erste deutsche Genozid in: Ders., Joachim Zeller (Hg.): Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904 – 1906) in Namibia seine Folgen, Berlin 2003, S. 60. Nach dem Zweiten Weltkrieg verschwanden zwar bereits die Namen vieler Mörder*innen langsam aus dem Straßenbild, aber eben nicht alle. Die Aufarbeitung dieser hartnäckigen Reste hat tatsächlich bereits begonnen und wurde mehrfach medial aufgenommen. Der Arbeitskreis Hamburg Postkolonial arbeitet beispielsweise seit 2004 daran, die Straßen Woermannsweg und Woermanstieg umbenennen zu lassen. Der im Jahr 2019 erreichte Beschluss zur Umbenennung wurde jedoch bisher nicht umgesetzt (Stand 2021). Fast schon höhnisch wirkt es, dass 2005 sogar noch neue Straßennamen mit Bezug zum Kolonialismus vergeben wurde. Ferdinand Magellan, Marco Polo und Vasco da Gama sind beispielsweise Namensgeber wichtiger und repräsentativer Plätze in der wachsenden HafenCity.3Steinhäuser, Frauke: Hamburg und sein koloniales Erbe, in: o.HG: Nach Kolonialakteurenbenannte Straßen in Hamburg, o.O, o.J, S. 2-11.
Das Projekt freedome Roads! zählt insgesamt 102 Straßen und Plätze mit kolonialem Bezug in Hamburg, wodurch die Stadt zur Spitzenreiterin in Deutschland wird. Einige davon offenbaren sich sofort, andere jedoch nicht. Häufig sind es vergleichsweise unauffällige Kaufmänner, Reeder oder Bankiers, welche in Verbindung mit dem Kolonialismus und der Ausbeutung stehen. Durch den Kolonialwarenhandel konnten viele auch heute noch bekannte Namen wie Schimmelmann oder Wissmann ein Vermögen begründen und die Stadt aktiv mitgestalten. Auch wenn diese Männer der Kontore und Hinterzimmer weniger offensichtlich als Kolonial-Akteure in Erscheinung traten, so waren sie doch der treibende Motor zum Funktionieren des Systems.
Am Kamerunkai, Kamerunweg, Afrikastraße, Asiastraße – diese Straßen befinden sich auch heute noch im Hamburger Hafen. Auch wenn hier keine Personen genannt werden, so knüpfen diese Namen an ausbeuterischen Handel und die Versklavung ganzer Gesellschaften an. Zuweilen zeigt sich der Rassismus der Händler und Kaufleute auch in einer gewissen Doppel-Gesichtigkeit. So war der Schokoladenfabrikant Reichert aus dem damals noch selbstständigen Wandsbek ein progressiver Industrieller, der die Arbeiterwohlfahrt im eigenen Werk förderte. Gleichzeitig forderte er, seinen unter sklavischen Bedingungen lebenden Arbeiter*innen in Kamerun „keinen Ort der Wohlfahrt“ zu geben.4Storost, Ursula: Ebd. Das ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Gedankengut, auf dem die Nazis später ihre Ideologie aufbauten.
Wie können wir nun mit dem Problem der kolonialen Straßennamen umgehen? Auch wenn es manchen vielleicht schwerfällt, aber durch einen Perspektivwechsel wird klar, dass es nur eine Umbenennung geben kann. Aus der Sicht all der Menschen, deren Vorfahr*innen beispielsweise durch den von Kolumbus ausgelösten Prozess der Unterdrückung bis heute unter ihrer gesellschaftlichen Rolle leiden, ist es einfach nur menschenverachtend, sich an solchen Orten zu befinden. Ein Straßenname ist immer eine Form von Ehrerbietung. Deshalb darf auch kein Industrieller, Kaufmann oder Reeder eine Straße zieren, wenn er mit seiner Tätigkeit und seinem Erfolg auf Ausbeutung aufbaut. Da zählt es auch nicht, was diese Menschen für die Stadt Hamburg geleistet haben. Viel mehr müsste diese Leistung neu eingeordnet, bewertet und im Sinne einer Aufarbeitung hinterfragt werden. Nur so ist es möglich, dass wir in einer kulturell und gesellschaftlich vielfältigen Stadt wie Hamburg keine Orte der Ausgrenzung und Verletzung schaffen.
Alex studiert Geschichte im Master an der Universität Hamburg. Er interessiert sich vor allem für Bildwelten der Neueren Geschichte sowie für Musikgeschichte. Aktuell ist Alex auch als freier Redakteur bei Netzwelt tätig. Wenn es seine Zeit zulässt, arbeitet er gerne als Regieassistent beim Film und am Theater.
Fußnoten