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Rundgang: Das koloniale Erbe Hamburgs

In Hamburg finden sich viele Spuren der kolonialen Vergangenheit. Die Stadt profitierte jahrhundertelang von der Unterdrückung und Ausbeutung fremder Völker. Auf dem Weg zu einem kritischeren Umgang mit dem kolonialen Erbe geht nun auch der Senat einen wichtigen Schritt.  

Das Hamburger Rathaus
Das Hamburger Rathaus.
 

Redaktioneller Hinweis: Dieser Text erschien bereits 2015 bei Hamburgische Geschichten.  

Der Sandsteinbau streckt sich imposant in die Höhe, der Sonne und dem wolkenlosen Himmel entgegen. Er wirft einen langen Schatten auf den Rathausmarkt und die vielen Grüppchen, die sich vor dem Eingang sammeln. Achtzehn Menschen haben sich am Hamburger Rathaus zusammengefunden, um auf einem geführten Stadtrundgang mehr über die kolonialen Spuren im Zentrum ihrer Stadt zu erfahren. 
Die Zeit eigener kolonialer Besitzungen begann in Deutschland erst vergleichsweise spät. Zwischen 1884 und 1885 stellte das Deutsche Kaiserreich dazu Territorien, die private Unternehmer zuvor erworben hatten, unter offiziellen Schutz. So entstanden die Kolonien Kamerun, Togo, Deutsch-Südwestafrika (Namibia) und Deutsch-Ostafrika (Tansania). Zusätzlich entstanden aus mehreren Inselgruppen im Pazifik deutsche Kolonien: Deutsch-Samoa (Samoa) und Deutsch-Neuguinea (heute u.a. Palau, Marshallinseln u.v.m.). Hinzu kam 1897 noch das chinesische Tsingtau. 

Auf dem Weg: Ein hamburgweites, postkoloniales Erinnerungskonzept 

An der sogenannten „europäischen Expansion“, also auch an der Kolonisation und Ausbeutung anderer Länder, waren Deutsche allerdings von Beginn an beteiligt. An der „Entdeckung“, „Erforschung“ und Besiedlung von Überseegebieten, an der Entsendung von Missionaren und nicht zuletzt am Handel. Besonders die Stadt Hamburg profitierte vom Kolonialismus, auch im gesamteuropäischen Kontext. „Die Welt, zu der Hamburg Deutschlands Tor war, war über 500 Jahren eine koloniale. Man handelte mit Kolonien, ehemaligen Kolonien oder Kolonialmächten, man transportierte Menschen in die Kolonien und importierte Kolonialwaren“, erklärt Prof. Dr. Jürgen Zimmerer, Leiter der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe/Hamburg und die frühe Globalisierung“ an der Universität Hamburg. 

Die Stadt Hamburg will nun einen ersten Schritt gehen und ihr koloniales Erbe aufarbeiten. Anfang Juli 2014 reagierte der Senat nach langer Zeit auf das Ersuchen der Bürgerschaft, ein „hamburgweites, postkoloniales Erinnerungskonzept“ auf den Weg zu bringen.

Der Eingang des Afrikahauses mit der Bronzestatue von Walter Sintenis
Der Eingang des Afrikahauses mit der Bronzestatue von Walter Sintenis.
 

Zentraler Baustein des Senatskonzeptes ist die wissenschaftliche Aufarbeitung des kolonialen Erbes der Stadt. Dafür wurde die Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe/Hamburg und die frühe Globalisierung“ an der Universität Hamburg eingerichtet, mit der Zimmerer nun die Grundlage für ein umfassendes Erinnerungskonzept schaffen soll: „Die Perspektive der Opfer und ihrer Nachkommen muss dabei ebenso berücksichtigt werden wie die der Täter.“ Dafür sieht der Beschluss auch einen Austausch mit der Universität Daressalam vor, ab Oktober 2015 wird ein Promotionsstipendiat aus Tansania seine Forschung hier aufnehmen.

Die Spurensuche beginnt 

Mina Ringel, Wirtschaftsgeographin und Mitarbeiterin des Eine Welt Netzwerk Hamburg, führt die Gruppe in den Innenhof des Rathauses. Seit Jahren zeigt sie Interessierten, wo und wie die kolonialen Spuren das Stadtbild prägen. Auf der einen Seite begrenzt das Rathaus den Hof, genau gegenüber befindet sich das 1840 errichtete Börsengebäude, der Sitz der Hamburger Handelskammer. Hofmauern verbinden das Gebäude und das Rathaus. „Und diese bauliche Nähe war nicht nur eine rein architektonische“, erklärt Mina Ringel. Die Handelskammer habe schon immer die Politik der Stadt maßgeblich beeinflusst. Besonders die einflussreichen Hamburger Kaufleute hätten es verstanden, Lobbypolitik zu betreiben. 

Hanseatische Kaufleute gründeten lange vor dem Beginn der deutschen Kolonialzeit unzählige Handelsniederlassungen in Übersee. Als dann die Einwohner*innen der Überseegebiete immer heftiger Gegenwehr gegen die Ausbeutung und Unterdrückung leisteten, wandten sich die einflussreichen Hamburger Kaufleute mit Schutzgesuchen und Denkschriften an die Regierung. Auch die Handelskammer Hamburg forderte 1883 über den Senat der Stadt Reichskanzler Otto von Bismarck dazu auf, deutsche Schutzgebiete in Westafrika auszurufen. „Sicherlich fiel Bismarck die Entscheidung – gegen seine Überzeugung – die ersten Schritte zu einem deutschen Kolonialreich zu tun, leichter, weil so einflussreiche Gruppen wie Hamburger Wirtschaftskreise dahinter standen“, sagt Zimmerer.

Gedenken an die Täter, nicht an die Opfer 

Alle schnaufen nach dem Erklimmen des steilen Hügels, lassen sich nieder auf den Treppen hinter der Kirche. Auch in einem der Wahrzeichen Hamburgs, der St. Michaelis Kirche, finden sich Spuren kolonialer Vergangenheit. An einer Säule befindet sich eine große, verzierte und vergoldete Tafel: „Aus Hamburg starben für Kaiser und Reich…“, darunter eine Liste mit Namen, sortiert nach „in China“ und „in Afrika“. Die Tafel gedenkt gefallenen oder vermissten Hamburger Soldaten, die in den deutschen Kolonien gegen antikoloniale Aufstände vorgehen sollten. Sie steht – wie der gesamte Michel – unter Denkmalschutz, wird also dort auf jeden Fall verbleiben.

Bis heute bleibt die Tafel unkommentiert, den Opfern der Kolonialherren wird hier an keiner Stelle gedacht. Und Opfer gab es viele im Laufe der europäischen Expansion und der Kolonialzeit. Der Völkermord der Deutschen an den Herero und Nama in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika ist lediglich ein Beispiel. Nur ein Fünftel des Herero- und die Hälfte des Nama-Volkes überlebten ihn. Wissenschaftlich längst als Völkermord anerkannt, nannte die Bundesregierung das Geschehen erst im Juli 2015 beim Namen. 

Die Gedenktafel an der St. Michaelis-Kirche erinnert an die in den Kolonien gefallenen Soldat*innen.
Die Gedenktafel an der St. Michaelis-Kirche erinnert an die in den Kolonien gefallenen Soldaten.
 

Die Perspektive der Opfer einbeziehen 

Die ersten Schritte zur Aufarbeitung sind getan. Zimmerer hofft, mit seinen Forschungsergebnissen weiter zur Debatte über die koloniale Vergangenheit beizutragen. „Natürlich wird es Leute geben, die man nicht erreichen kann“, sagt er. „Ich denke aber, dass eine Aufklärung der Bevölkerung, besonders auch der jungen Menschen, über koloniale Verbrechen allen vor Augen führt, welche menschenverachtenden Konsequenzen Rassismus hatte und hat.“ Der koloniale Blick, der die Welt in Kolonisierende und Kolonisierte, in „Zivilisierte“ und „Wilde“, in „Kultivierte“ und „Primitive“ einteilt, sei kein reines Phänomen der Vergangenheit. 

Auch Mina Ringel will mit den Rundgängen einen Beitrag dazu leisten, damit die koloniale Vergangenheit „ein Teil der lokalen Geschichte wird, um die man weiß.“ Im Konzept sieht sie noch einige Lücken. Am stärksten kritisieren sie und andere aber das Vorgehen des Senats. „Die Leute, die sich seit Jahren damit auseinandersetzen, die Black Community, die Schwarzen Menschen in Deutschland oder der Arbeitskreis Hamburg Postkolonial […] sind einfach nicht mit einbezogen worden“, sagt Ringel. 

Zimmerer will das ändern: „Wir suchen generell den Dialog mit allen beteiligten Gruppen und beziehen bereits erarbeitete Ergebnisse selbstverständlich in unsere Arbeit ein. “Wie ein Erinnerungskonzept dann letztendlich aussieht, wie mit dem kolonialen Erbe, mit Kolonialdenkmälern, mit der Benennung von Straßen nach kolonialen Akteuren in Zukunft umgegangen wird, müsse dann in einer umfassenden Diskussion aller Beteiligten erarbeitet werden. 

Um das ausführliche Interview mit Zimmerer zu lesen, hier klicken.