Vor 100 Jahren begann mit dem Kieler Matrosenaufstand die Novemberrevolution und nach wenigen Tagen war auch in Hamburg die alte Ordnung hinweggefegt. Ein Arbeiter- und Soldatenrat übernahm für rund drei Monate die Macht in der Hansestadt. Dessen Vorsitzender, Heinrich Laufenberg, avancierte für kurze Zeit zu Hamburgs „rotem Diktator“.
November 1918: Revolution in Hamburg. Ein Arbeiter- und Soldatenrat hat die Macht in der Hansestadt übernommen. Der Senat, die Jahrhunderte alte Machtinstitution des Bürgertums, wird kurzerhand für abgesetzt erklärt und die rote Fahne auf dem Rathaus gehisst. Doch wie sich der Rat als neue Machtinstitution langfristig zusammensetzen soll, darüber gibt es in Hamburgs Arbeiter*innenschaft erbitterte Diskussionen. Gewerkschaften und Sozialdemokratie als größte Arbeiter*innenvertretungen wollen bürgerliche Kräfte einbeziehen, Linksradikale und Kommunist*innen sind strikt dagegen. Der Konflikt innerhalb Hamburgs Arbeiter*innenbewegung spitzt sich in den Tagen der Machtübernahme auf die Frage zu, wer Vorsitzender des Arbeiter- und Soldatenrats werden soll. Am Ende wird es ein linksradikaler „Dickschädel“, wie Sozialdemokrat*innen ihn bezeichnen. Er hatte zuvor mit weiten Teilen der politischen Linken erbitterte Fehden geführt und denkt nicht daran, es nun zu unterlassen: Heinrich Laufenberg. Er geht als Hamburgs „roter Diktator“, wie ihn verschiedene bürgerliche Hamburger Zeitungen betitelten, in die Geschichte ein und symbolisiert geradezu perfekt den innerlinken Konflikt zwischen pragmatischen Lösungsansätzen und radikalem politischen Wandel.
Am Anfang seines Lebens deutete nichts darauf hin, dass Laufenberg später einmal für die Belange der Arbeiter*innenschaft eintreten würde. 1872 wurde er im rheinischen Köln in ein katholisch-bürgerliches Milieu geboren. Ganz dieser Herkunft folgend, trat er nach dem Philosophie- und Volkswirtschaftsstudium der Zentrumspartei bei und begann für die der Partei nahestehende Zeitschrift „Germania“ zu schreiben. Erst als er in Kontakt mit den Schriften von Marx und Engels gekommen war, wandte er sich der Sozialdemokratie zu. Schnell rückte er weiter in den linken Flügel der SPD; laut eines damaligen Polizeidossiers sei er den Sozialdemokraten „extremster Richtung“ zuzuordnen gewesen. 1908 kam er in die Hansestadt. Auf Wunsch der SPD sollte er die lokale Geschichte der Arbeiter*innenbewegung aufarbeiten.
Doch statt sich um die Vergangenheit zu kümmern, mischte er sich lautstark in die Gegenwart ein und bekämpfte die SPD-Führung aufs Schärfste: Als der Erste Weltkrieg ausbrach, die SPD-Führung die Zustimmung zu den Kriegskrediten gab und die Burgfriedenspolitik beharrlich verteidigte, gehörte Laufenberg zu den entschiedensten Gegner*innen dieser Linie – eine Position, die später entscheidend sein wird für die Wahl zum Vorsitzenden des Arbeiter- und Soldatenrats. Denn mit dieser Position war er in der Hamburger Arbeiter*innenschaft Anfang November 1918, noch kurz vor Ende des Krieges, die prädestinierte Führungspersönlichkeit.
Auch äußerlich verkörperte er Glaubwürdigkeit. Laufenberg überragte die meisten Menschen in seiner Umgebung. Sein markanter Schnäuzer und der lange Soldatenmantel, in dem er sich präsentierte, als sei er auf direktem Wege von den Schützengräben gekommen, taten ihr Übriges, um den Anschein eines Volkstribuns zu erwecken, der die Interessen der Massen vertrat und diese in eine neue Welt zu führen vermochte.
Doch was nun, frisch im Amt des Revolutionärs? Zunächst ließ Laufenberg Flugblätter verteilen, in denen zu Ruhe und Ordnung aufgerufen wurde. Außerdem werde das Privateigentum nicht angetastet, versicherte er zusätzlich. Bald darauf beschloss der Rat die Einführung des Acht-Stunden-Tags, verbesserte den Kündigungsschutz und sorgte für die Schaffung eines Arbeitsamtes. Drängend war vor allem aber die große Lebensmittelknappheit in der Millionenstadt, die Lösung dieses Problems hatte absolute Priorität. Als Laufenberg und die übrigen Mitglieder des Arbeiter- und Soldatenrats merkten, dass für die Umsetzung ihrer Vorhaben eine hörige Verwaltung vonnöten war, wurde nach einigen Tagen der Senat wiedereingesetzt, um die politischen Entscheidungen kompetent umzusetzen.
Während die neue Machtinstitution Politik pragmatisch betrieb und die Verbindungen zum Bürgertum und den abgesetzten Eliten nicht völlig abkappen wollte, präsentierte sie sich nach außen mit revolutionären Parolen: „Die Diktatur des Proletariats ist nicht mehr fern“, rief Laufenberg den Massen auf dem Rathausplatz im Dezember 1918 entgegen. Doch innerhalb des Rats waren die Gräben noch tiefer als zum Bürgertum. Als ein Putschversuch, der laut Laufenberg angeblich von Gewerkschaften und Sozialdemokrat*innen angeleitet worden war, scheiterte, war er am Zenit seiner Macht. Die drängenden Alltagsprobleme der Bevölkerung konnte zwar auch er nicht lösen, versuchte es aber immer wieder mit eigenmächtigen Beschlüssen. Die ständigen Beschimpfungen gegen Gewerkschaften und Sozialdemokrat*innen, verbunden mit dem Versuch, eine Diktatur des Proletariats zumindest öffentlich anzustreben, waren letztlich zu viel des Guten. Die Mehrheit in Hamburgs Arbeiter*innenbewegung wünschte einen schrittweisen Fortschritt, keine unordentliche Dauerrevolution. Nach zwölf Wochen übernahmen die Sozialdemokrat*innen die Macht im Arbeiter- und Soldatenrat, während die Weimarer Republik als parlamentarische Demokratie entstand.
In seiner alten SPD, Laufenbergs erster großen politischen Liebe, hatte er bis zu seinem Lebensende einen Intimfeind gefunden. „Mit ehernem Tritt“ wollte er sie nach seinem Sturz „zermalmt“ sehen. Und auch von seinen einstigen politischen Wegbegleitern war er als eigenwilliger Dickschädel verstoßen und verleumdet worden. Gründe dafür gab es wohl genug: Offenbar nicht ganz zu Unrecht behauptete der Historiker Joachim Paschen, die einzige Partei in der Laufenberg glücklich geworden wäre, wäre die Laufenberg-Partei gewesen. Vollkommen ins Abseits warf sich Laufenberg mit seiner Befürwortung des Nationalbolschewismus. Nationalismus und Kommunismus gemeinsam? Das war auch für die letzten treuen Gefolgsleute zu viel.
Völlig verarmt und isoliert starb Laufenberg 1932. Hamburgs „roter Diktator“ war für einen kurzen historischen Moment, es waren letztlich nur wenige Wochen, hoch oben. Doch von dort ist er tief gefallen.
Der vorliegende Text wurde ursprünglich am 16.10.2017 veröffentlicht und für die Neu-Veröffentlichung durch den Autor leicht überarbeitet und dem Styleguide der Redaktion angepasst.
Literatur
- Brietzke, Dirk: Laufenberg, Heinrich, in: Kopitzsch, Franklin und Brietzke, Dirk (Hg.): Hamburgische Biografie, Band 2, Göttingen 2008, S. 239–240.
- Lehmann, Frank: Heinrich Laufenberg und die Revolution 1918/19 in Hamburg, Hamburg 2009.
- Stalmann, Volker (Bearb.): Der Hamburger Arbeiter- und Soldatenrat 1918/19. Unter Mitwirkung von Jutta Stehling, Düsseldorf 2013 [Quellen zur Geschichte der Rätebewegung in Deutschland 1918/19, Bd. IV].
Quellen
- Laufenberg, Heinrich: Geschichte der Arbeiterbewegung in Hamburg, Altona und Umgegend, Berlin 1977 (Nachdruck der Ausgabe Hamburg 1911).
André Zuschlag hat Politik und Geschichte in Göttingen, Bologna und Hamburg studiert. Seit 2020 ist er Volontär bei der taz nord in Hamburg, schreibt dort vor allem über Politik und Soziales und interessiert sich für die Geschichte linker Bewegungen.