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Hamburg 1945: Erste Soforthilfsmaßnahmen für NS-Verfolgte

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs war die Not in Hamburg, wie auch in weiten Teilen von Europa, groß. Durch die vorangegangenen Beraubungs- und Verfolgungsmaßnahmen des NS-Staates litten besonders die Verfolgten des NS-Regimes Not. So leiteten nach der Befreiung sowohl die Stadt Hamburg als auch ihre britischen Besatzer Hilfsmaßnahmen ein, um sie zu unterstützen.

Vordruck für einen Ausweis der »Notgemeinschaft«, 1945
 

Die Situation der Jüdinnen und Juden nach dem Krieg in Hamburg

Wie sah die Situation für ehemalige Verfolgte in Hamburg aus? Am Beispiel der Jüdinnen und Juden, der größten und prominentesten Opfergruppe, soll dies kurz vorgestellt werden.

Von der rund 20.000 Personen großen jüdischen Gemeinde im Jahr 1925 überlebten nur wenige den Holocaust, so dass sich im Jahr 1946 nur noch 1509 Menschen jüdischen Glaubens in Hamburg befanden.1Nach Zahlen von deutschen Behörden befanden sich im Oktober 1946 nur noch 953 Menschen jüdischen Glaubens in Hamburg. Die Diskrepanz mag sich daraus ergeben, dass sich nach den Verfolgungserfahrungen viele Jüdinnen und Juden scheuten ihren Glauben vor deutschen Behörden zu bekennen. (Vgl. Ursula Büttner: Rückkehr in ein normales Leben? Die Lage der Juden in Hamburg in den ersten Nachkriegsjahren, in: Herzig, Arno (Hg.): Die Juden in Hamburg 1590-1990, Bd. 2, Hamburg 1991, S. 613f. Für die überlebenden Jüdinnen und Juden war die Wiedereingliederung in die Gesellschaft besonders schwer, weil sie innerhalb von zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft umfassend isoliert worden waren und sich mit den meisten ehemaligen Bekannten und Nachbar*innen entfremdet hatten. Zudem konnten überlebende Jüd*innen nicht in ehemalige soziale Strukturen aus Familie und Freund*innen zurückkehren, da diese nicht mehr existierten.2Vgl. Büttner: Rückkehr in ein normales Leben?, S. 615. Das unterschied sie stark von anderen Verfolgten, wie etwa den politisch Inhaftierten.3Vgl. Büttner: Rückkehr in ein normales Leben?, S. 615. Erschwert wurde die Lage der deutschen Jüd*innen in Hamburg dadurch, dass sie von der britischen Militärregierung4Die britischen Truppen hatte Hamburg am 3. Mai 1945 besetzt und die Stadt wurde bis 1949 von einer Militärregierung verwaltet. (Vgl. Büttner: Rückkehr in ein normales Leben?, S. 613.) als Deutsche behandelt und nicht wie die Displaced Persons5Als Displaced Persons wurden nach dem Krieg diejenigen Menschen bezeichnet, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg nicht in ihrem Heimatland befanden und ohne Hilfe nicht dorthin zurückkehren konnten. Meist waren es Zwangsarbeiter oder KZ-Überlebende, aber auch Vertriebene und Flüchtlinge auf deutschem Gebiet. (Vgl. Jacobmeyer, Wolfgang: Vom Zwangsarbeiter zum Heimatlosen Ausländer. Die Displaced Persons in Westdeutschland 1945-1951, Reihe: Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Bd. 65, Göttingen 1985, S. 15.) besonders geschützt wurden.6Vgl. Lorenz: Jüdischer Neubeginn im „Land der Mörder“?, S. 102. Die Briten argumentierten, dass durch eine bevorzugte Zuteilung, etwa bei dringend benötigtem Wohnraum oder Lebensmittel, neuer Antisemitismus geschürt werden könnte.7Vgl. Büttner: Rückkehr in ein normales Leben?, S. 614f. Durch die vorangegangene Beraubung waren die meisten jüdischen Überlebenden jedoch mittellos und auf Fürsorgeleistungen und Wiedergutmachungszahlungen angewiesen.8Vgl. Ebd., S. 615.

Spontane Hilfsbereitschaft in der britischen Zone

Dieser Not wurde unterschiedlich begegnet. Die erste Zeit direkt nach dem Ende des Krieges zeichnete sich durch spontane Hilfsbereitschaft der deutschen Behörden gegenüber den zuvor Verfolgten aus. Diese zeigte sich zum Beispiel in der Zuteilung von höheren Lebensmittelrationen. Einige Städte und Gemeinden holten im Zuge dieser Hilfsmaßnahmen auch eigeninitiativ KZ-Überlebende zurück. Außerdem wurden Bürger*innen einzelinitiativ und organisierten Geld- oder Spendensammlungen.9Vgl. Schrafstetter: Von der Soforthilfe zur Wiedergutmachung, S. 316f. Es gab jedoch noch keine weitergehende britische Anordnung über die generelle Verpflichtung zu Soforthilfsmaßnahmen hinaus. So gestalteten die einzelnen Kommunen, die mit der Betreuung der Verfolgten betraut waren, diese Hilfsmaßnahmen verschieden. Dabei unterschied sich auch, ob alle Verfolgten unterstützt wurden oder nur bestimmte Gruppen.10Vgl. Ebd., S. 313, 317, 319f. In Hamburg wurde bereits im Juni 1945 bei der Polizeibehörde die Zentralbetreuungsstelle für ehemalige KZ-Häftlinge eingerichtet. In enger Zusammenarbeit mit Verfolgtenorganisationen wurden hier nach der Anerkennung als politisch Verfolgte*r Verfolgtenausweise ausgestellt und damit Hilfen und Vergünstigungen ausgegeben.11Vgl. Büttner: Not nach der Befreiung, S. 22f. Insgesamt galt das Hamburger Modell der (Erst-) Versorgung ehemaliger Verfolgter und dabei besonders ehemaliger KZ-Häftlinge innerhalb der britischen Zone als vorbildlich.12Vgl. Ebd., S. 22f.

Hamburger Gesetzesvorhaben

Neben der Organisation der ersten Soforthilfsmaßnahmen nahm Hamburg auch bei der Frage der Wiedergutmachung13Der Begriff „Wiedergutmachung“ wurde in der Forschung verschiedentlich kritisiert, da er seinem semantischen Sinn nicht gerecht werden könne. Da er aber die einzige Klammer für verschiedene Komponenten der Wiedergutmachung bildet, wird er hier als Quellenbegriff ohne Anführungszeichen verwendet. (Vgl. u.a. Hockerts: Wiedergutmachung, S. 9-11.) zunächst eine Vorreiterrolle ein und gründete bereits im Juli 1945 eine Beratungsstelle für Wiedergutmachungsansprüche. Eine weitere Initiative, ein Fonds von 1 Million Reichsmark, der für die Wiedergutmachung an Verfolgte gedacht war, wurde jedoch bis 1947 von der britischen Militärregierung eingefroren, da sie eine zu hohe finanzielle Belastung fürchteten.14Vgl. Büttner: Not nach der Befreiung, S. 23./ Asmussen: Der kurze Traum von Gerechtigkeit, S. 27. Daneben hatte es gerade in den ersten zwei Jahren nach Kriegsende viele Initiativen für Wiedergutmachungsgesetze in Hamburg gegeben. Diese waren jedoch durch die britische Regierung abgelehnt worden, da sie eine einheitliche Regelung aller Zonen anstrebte.15Vgl. Ebd., S. 331. Dem Hamburger Senat gelang es so nur wenige Vorschläge umzusetzen. Ein solcher war die Rehabilitierung ehemaliger Verfolgter im öffentlichen Dienst durch eine bevorzugte Einstellung.16Vgl. Ebd., S. 33. In Hamburg wurde sich dementsprechend in besonderem Maße bemüht Regelungen für die Verfolgten zu treffen.17Vgl. Asmussen: Der kurze Traum von Gerechtigkeit, S. 30./ Büttner: Not nach der Befreiung, S. 21f. Insgesamt ließ jedoch das Engagement und die Initiativen des Senats für die Wiedergutmachung nach 1945 stark nach. Außerdem waren viele Sondervorschriften für Verfolgte abgelaufen und auch die Gesetzesvorhaben verzögerten sich, so dass die Lage für die Verfolgten in Hamburg, wie auch in der gesamten britischen Zone, schwierig blieb.18Vgl. Büttner: Not nach der Befreiung, S. 25f. Und trotz dieses langsamen Anlaufens von kleinen Unterstützungen und Hilfsmaßnahmen für NS-Verfolgte erlebten sie immer wieder Neid und Missgunst aus der restlichen Bevölkerung gegenüber den wenigen Vergünstigungen, die sie erhielten.19Vgl. Asmussen: Der kurze Traum von Gerechtigkeit, S. 42.

Die ZPI No. 20

Zu einer ersten Vereinheitlichung der Soforthilfe in der britischen Zone kam es erst durch die Zonal Policy Instruction No. 20 (ZPI No. 20) vom 4. Dezember 1945.20Vgl. Büttner: Not nach der Befreiung, S. 11./ Schrafstetter: Von der Soforthilfe zur Wiedergutmachung, S. 309. Die ZPI No. 20 sah vor, dass alle KZ-Häftlinge aus Deutschland oder ehemaligen Feindstaaten Vergünstigungen erhielten, wenn sie aufgrund ihrer Rasse, ihrer Religion oder ihrer politischen Anschauung verfolgt worden waren. Ehemalige KZ-Häftlinge, deren Staatsangehörigkeit ungeklärt war oder die aus neutralen Staaten kamen, könnten unabhängig des Verfolgungsgrunds Vergünstigungen beantragen. Später wurde die Regelung auch auf nicht-KZ-Häftlinge ausgeweitet. Ausgeschlossen waren diejenigen, die in DP-Camps versorgt wurden sowie Kriminelle und ehemalige NSDAP-Mitglieder (dazu zählten z. B. desertierte Wehrmachtsangehörige).21Vgl. Schrafstetter: Von der Soforthilfe zur Wiedergutmachung, S. 323-325. „Bemerkenswert“ war bei diesem britischen Gesetz der „pädagogischer Impuls“: Die Anerkennung der Opfer sollte in der Gesellschaft sichtbar gemacht werden.22Vgl. Goschler: Wiedergutmachung, S. 186. Diese politische Zielsetzung, das Leiden der Opfer öffentlich anzuerkennen, verschwand in späteren Gesetzen.23Vgl. Büttner: Not nach der Befreiung, S. 11. Diese späteren Gesetze entstanden häufig erst Jahre nach Ende des Krieges, das Rückerstattungsgesetz der britischen Zone beispielsweise 1949 und das Allgemeine Wiedergutmachungsgesetz in Hamburg erst 1953. Die Bundesgesetze traten noch später, 1953 und 1957, in Kraft.24Vgl. Büttner: Not nach der Befreiung, S. 19./ Asmussen: Der kurze Traum von Gerechtigkeit, S. 65, 73./ Burgauer: Zwischen Erinnerung und Verdrängung, S. 70f.

Fußnoten[+]