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St. Pauli: Die Kunst des Erinnerns

Neben dem Gartenaufbau auf dem Heiligengeistfeld-Bunker möchte das Projekt „Hilldegarden“auch ein Museum einrichten, das an die schwierige Geschichte des Bunkers erinnert. Doch beim Gedenken an den Zweiten Weltkrieg treffen zwei Philosophien des Erinnerns aufeinander.

Das Bauwerk in der Feldstraße diente im 2. Weltkrieg als Flakturm.
Das Bauwerk in der Feldstraße diente im 2. Weltkrieg als Flakturm.
 

Der Weg zu Klaus Manns Erkenntnis führt über eine schmale Treppe unter die Erde. Dort hängen die Worte des Schriftstellers auf einem grauen Plakat vor einer behauenen Wand aus roten Backsteinen: „Das Hamburg, welches ich kannte, wird es niemals mehr geben. Sicherlich die Stadt wird wieder aufgebaut werden […]. Aber ihr Antlitz und ihre Atmosphäre werden wesentlich verändert sein.“ Das Plakat mit Manns treffender Beschreibung Hamburgs nach dem Zweiten Weltkrieg hängt im Museum unter der Kirche St. Nikolai, einem der bekanntesten Mahnmale der Hansestadt. Die Dauerausstellung dort erinnert an die Bombennächte von 1943, als die Operation Gomorrha einen Feuersturm in der Hamburger Altstadt entfachte. 
Erinnern, das ist eine zentrale Aufgabe einer Gedenkstätte. Wenn es nach dem Projekt „Hilldegarden“ geht, soll auch zwei Kilometer weiter im Bunker auf dem Heiligengeistfeld eine Gedenkstätte entstehen. Außergewöhnlich daran: Die Gedenkstätte soll Teil eines begrünten Aufbaus auf dem Dach des Bunkers werden. Die Pläne sorgen für hitzige Diskussionen, weil dort zwei Philosophien des Erinnerns aufeinander prallen. 

Vom Bundestag zum Mahnmal St. Nikolai

Klaus Francke hat geschafft, wovon das Projekt „Hilldegarden“ noch träumt. Er verwaltet als 1. Vorsitzender des Fördervereins Mahnmal St. Nikolai die Ausstellung im Keller der Kirchenruine. Er ist gelernter Mineralölkaufmann mit einem Faible für Geschichte, zudem saß er viele Jahre für die CDU im Bundestag. 
Francke empfängt im Museum unter St. Nikolai. Die achtzig Jahre, die Francke im nächsten Jahr alt wird, sind ihm nicht anzumerken. Locker sitzt er im dunklen Anzug mit überschlagenen Beinen auf dem Stuhl. Dass er lange Mitglied im Bundestag war, ist zu hören. Francke wählt seine Worte mit Bedacht, seine Antworten trägt er distinguiert vor: „Das Museum unter St. Nikolai entstand durch eine Bürgerinitiative in den achtziger Jahren. Ein Privatmann richtete ein kleines Museum ein, das er mit einer Fülle von Blindgängern und Fotos von zerstörten Häusern schmückte.“ 
Im Dezember 2005 kam Francke. Er gründete einen wissenschaftlichen Beirat, zu dem unter anderem die Historiker Richard Overy und Detflef Garbe sowie der Architekt Gerhard Hirschfeld gehörten. Gemeinsam konzipierten sie eine neue Ausstellung. Bis auf den gläsernen Fahrstuhl im Turm der Kirche blieb nichts von der alten Ausstellung übrig. Eine wichtige Rolle bei der Konzeption spielten Zeitzeug*innen, die ihre Geschichte erzählten und sogar Dokumente für die Ausstellung bereitstellten. 

Ein glücklicher Umstand spielte Francke und seinem Team in die Hände: Ein anonymer Mäzen stellte 200.000 Euro für die Ausstellung zur Verfügung, zusätzlich sammelte Francke über die Stadt 1,32 Millionen Euro ein, mit denen er die Baumaßnahmen finanzierte. Auflage für das Geld war, dass die Stadt keine laufenden Kosten für Museum und Turm übernehmen müsse. Heute decken die Eintrittspreise von Ausstellung und Aussichtsplattform die laufenden Kosten des Mahnmals, Francke erfüllte die Auflage. 

Wie „Hilldegarden“ erinnern möchte 

Wo die Ausstellung im Mahnmal St. Nikolai bereits Realität ist, steht das Team von „Hilldegarden“ ihrem Traum noch gegenüber. Geplant ist eine dauerhafte Ausstellung unter dem Gartenaufbau des Bunkers, die an die schwierige Geschichte des Gebäudes erinnert. Innerhalb des Projekts „Hilldegarden“ hat sich dafür eine Mahnmal-Gruppe gebildet, die sich regelmäßig trifft und austauscht. 
Leiterin der Gruppe ist Sonja Brier, Mitte Vierzig und studierte Soziologin. Sie wohnt in unmittelbarer Nähe zum Bunker und besteht auf’s Du. Sie sitzt draußen vor einem Café und erzählt von der Arbeit der Mahnmal-Gruppe: „Momentan befinden wir uns noch in der Planungsphase, es steht also noch nicht viel fest. Wir haben uns schon darauf geeinigt, eine Gedenktafel vor dem Bunker aufzuhängen. Dort soll an die beim Bau des Bunkers gestorbenen Zwangsarbeiter und die jungen Flakhelfer erinnert werden, die oben auf dem Bunker ihr Leben ließen.“ 
Ein Ausstellungskonzept hat Brier aufgrund der bislang kurzen Arbeitsphase der Mahnmal-Gruppe noch nicht parat. Trotzdem hat die Gruppe Ideen: „Wir arbeiten eng mit Zeitzeugen zusammen, die entweder beim Bau des Bunkers geholfen oder in ihm Schutz gesucht haben. Außerdem planen wir eine enge Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg und einigen Museen.“ Besonders das Stadtteilarchiv von St. Pauli könne bei der Konzeption der Ausstellung helfen, da es vor einigen Jahren bereits eine Ausstellung zur Geschichte des Heiligengeistfelds und des Bunkers zusammengestellt habe. „Genug Platz für die Ausstellung werden wir im ehemaligen Gundlach-Fotostudio haben, das im Inneren des Bunkers liegt“, sagt Brier. 

Francke: „Der begrünte Aufbau würde den Mahnmal-Gedanken zerstören“ 

Auf die Pläne von „Hilldegarden“ angesprochen, schüttelt Francke nur den Kopf. „Die ursprüngliche Funktion eines Mahnmals, das der Bunker meiner Meinung nach ist, muss erhalten bleiben. Der Bunker als Mahnmal muss die Realität von damals abbilden, er ist ein Symbol für Hamburg im Nationalsozialismus geworden. Der Gartenaufbau und die Mahnmal-Funktion widersprechen sich vom Grundsatz “, sagt er. Geht es zu weit, die Pläne für das Museum nur als Alibi vorzuschieben, um den Gartenaufbau auf einem historischen Gebäude zu legitimieren? „Ja, das ist ein Alibi“, sagt Franke. „Die Funktion eines Mahnmals besteht ja nicht darin, nur einen Raum zu haben, in dem Fotos an die Kriegszeit erinnern, sondern das Mahnmal ist vor allem auch die äußere Hülle. Der begrünte Aufbau würde den Gedanken des Mahnmals zerstören.“ 

Brier: „Nicht mit erhobenem Zeigefinger auf Geschichte zeigen“ 

Mit Franckes Meinung konfrontiert, blickt Brier lange auf die Autos, die am Café vorbeifahren. „Dazu fällt mir ein Zitat von Friedrich Tamms ein, der als Architekt den Bunker plante und nach dem Krieg sagte, der Bunker müsse als Symbol für die Wehrhaftigkeit des Deutschen Reiches für immer auf dem Heiligengeistfeld stehen bleiben.“ Mit dem Aufbau wolle das Projekt die Wehrhaftigkeit und die Monstrosität des Bunkers brechen. Dazu solle auch die Ausstellung unter dem Aufbau ihren Teil beitragen. 
Brier verweist auch auf die bisherige Nutzung des Bunkers. In den Jahren nach dem Krieg haben sich Künstler, Film- und Musikschulen und Medienschaffende im Bunker eingemietet. „Viele Künstler und Medienmenschen wurden im Nationalsozialismus verfolgt, heute bietet ihnen das ehemalige Kriegsgebäude bezahlbaren Arbeitsraum. Erinnerungsräume müssen heute nicht mehr mit erhobenem Zeigefinger auf die Geschichte zeigen, sondern sie für möglichst viele Menschen erlebbar machen. Das wollen wir mit dem Aufbau und der Ausstellung bewirken“, sagt Brier. 

Am Ende geht es um das Erinnern an sich 

Welche der beiden Philosophien des Erinnerns sich am Ende durchsetzt, ist noch nicht abzusehen. Eines haben sie bei all den Unterschieden aber gemein: Die Erinnerung selbst. Das Mahnmal St. Nikolai erinnert bereits heute an die Gründe für die Zerstörung Hamburgs und das Leid der Zivilbevölkerung; die Ausstellung und die Gedenktafel im Bunker würden ebenso den Opfern des NS-Regimes gedenken, ob Zwangsarbeiter*innen oder Flakhelfer*innen – ob mit grünem Aufbau oder nicht. Und wäre der nicht die Wandlung von Antlitz und Atmosphäre Hamburgs, die Klaus Mann schon 1943 prophezeite? 

Das Projekt „Hilldegarden“sucht noch geschichtsbegeisterte Menschen, die im Workshop „Bunkergeschichte“ mitarbeiten möchten. Dort soll die Frage erörtert werden, wie man mit der schwierigen Geschichte des Flakbunkers umgeht. Ansprechpartner ist Tobias Boeing (tobias@hilldegarden.org).