Im Jahr 1871 wurde die „Kleindeutsche Lösung“, die Gründung eines deutschen Nationalstaats unter preußischer Führung vollendet. Doch wie weit erstreckte sich diese „deutsche Einheit“ über das Reich aus zollpolitischer Betrachtung? Ein Blick auf Hamburg und den Deutschen Zollverein in den ersten Jahren des Kaiserreichs legt komplexe Entwicklungen offen.
Als Hamburg vor über zwei Jahren seinen Freihandelsbezirk aufgab, verschwand damit auch die Erinnerung an einen Prozess, der die Hansestadt einst in ihr „Mark“, ihrer Souveränität, traf. Zusammen mit Bremen, war Hamburg eine Zeit lang Teil des deutschen Nationalstaats, ohne jedoch zu dessen Zollgebiet zu gehören. Die Hamburger Kaufleute waren abhängig vom überseeischen Handel, was eine handelspolitische Vorsicht erklärt. Nachdem das Deutsche Kaiserreich 1871 gegründet wurde, verlor Hamburg 1888 seine Sonderrechte. Dieser Artikel widmet sich der Frage: Welche Kontinuitäten und Brüche hatten der Verlauf und die Umstände des Verlustes von Hamburgs Sonderrechten als Freihandelshafen?
In den Jahren 1879/80 gab es eine entscheidende Konfrontation, auf die noch eingegangen wird. Diese wird, trotz einiger Ausarbeitungen zum Zollverein selbst, in der Forschung nur am Rande erläutert. Eine verhältnismäßig ausführliche Darstellung zum Verlauf des Beitritts von Hamburg zum Zollverein gaben der Bismarckexperte Otto Pflanze (Der Reichskanzler, 2008) und William Henderson (The Zollverein, 1984), ein Pionier zur deutschen Industriegeschichte.
Vor der Reichsgründung
Als 1833/34 der deutsche Zollverein gegründet wurde, verweigerten sich die Hamburger ihm beizutreten. Ein wichtiger Grund dafür war, dass die Hamburger Kaufleute streng an den Freihandel als die Maxime wirtschaftlichen Handels glaubten.1Vgl. Krause, Detlef: Die Commerz- und Discontobank 1870-1920/23. Bankgeschichte als Systemgeschichte, Stuttgart 2004, S. 45. Nach dem Historiker Woodruff Smith, der unter anderem in der Erforschung der Beziehung zwischen Wirtschaft und Kultur tätig ist, spielte im 19. Jahrhundert aber auch die handelspolitische Abhängigkeit Hamburgs vom Vereinigten Königreich eine bedeutende Rolle. Hamburg habe sich als Mittler zwischen Großbritannien und Mitteleuropa verstanden, jedoch wäre diese Stellung durch einen Beitritt in den Deutschen Zollverein gefährdet worden.2Vgl. Smith, Woodruff D.: The German colonial empire, Chapel Hill 1978, S. 5. Über die Jahre hinweg stand Hamburg der Idee eines Beitritts jedoch nicht unverändert gegenüber. Nach dem Großen Brand von 1842 forderten einige Stimmen der Hamburger Bürgerschaft einen Beitritt zum Zollverein. Manche meinten gar, die Stadt könne sonst nicht wiederaufgebaut werden. Das Minderheitendasein dieser Fürsprecher blieb jedoch konstant.3Vgl. Henderson, William O.: The Zollverein, 3. Aufl., London 1984, S. 160. Im Jahr 1866 trat Hamburg, unter Druck Preußens, dem Norddeutschen Bund bei. Dieser war ein Militärbündnis, welcher nach dem Deutschen Krieg von 1866 und der Auflösung des Deutschen Bundes zu einer Föderation von Preußen und dessen Alliierten umgestaltet wurde. Als Ausgleich für den Beitritt durfte Hamburg weiterhin außerhalb des deutschen Zollvereins bestehen.4Vgl. Krause: Die Commerz- und Discontobank 1870-1920/23, S. 45.
Dieses Privileg wurde 1867 in der Verfassung des nun bundesstaatlich organisierten Norddeutschen Bundes für Hamburg und Bremen festgehalten.5Vgl. Bühler, Johannes: Vom Bismarck-Reich zum geteilten Deutschland. Deutsche Geschichte seit 1871, Berlin 1960, S. 63. Lübeck hingegen trat 1868 dem deutschen Zollverein bei.6Vgl. Korn, Oliver: Gewerbeausstellungen im 19. Jahrhundert. Republikanische Selbstdarstellung, regionale Wirtschaftsförderung und bürgerliches Vergnügen, Opladen 1999, S. 113. Gleich den Gegnern des Zollvereins, hatten natürlich auch die Fürsprecher Gründe für ihre Haltung. Diese waren einerseits vor allem national-politischen Ursprungs, wurden andererseits aber auch von den Interessen von Gewerbe und Industrie geleitet, die sich zunehmend dem deutschen Inland zuwandten und somit mit der Zollgrenze konfrontiert waren.7Vgl. Hinz, Frank M.: Planung und Finanzierung der Speicherstadt in Hamburg. Gemischtwirtschaftliche Unternehmensgründungen im 19. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der Hamburger Freihafen-Lagerhaus-Gesellschaft, Münster 2000, S. 46.
Als Gegenmaßnahme konnte Hamburg bei Verhandlungen 1868, im Gegenzug zur Abgabe von Landgebieten, die Errichtung einer Niederlage für Zollvereinsgüter erreichen. Mit dieser konnten vom deutschen Zollverein unverzollte Waren nach Hamburg transportiert werden, um dort weiterverarbeitet und schließlich in den Zollverein reexportiert zu werden.8Vgl. ebenda, S. 46-47. Diese Maßnahme entbehrte eines Arguments der Hamburger Fürsprecher eines Beitritts.
Der große Konflikt
Hamburg hatte bereits mit seiner Aufnahme in den Norddeutschen Bund einen Teil seiner Souveränität aufgegeben. Doch mit der Schaffung des Deutschen Kaiserreichs im Jahr 1871 wurde es durch Angleichung des Justizwesens im Reich und der Einführung der Mark als Reichswährung in seinem Spielraum weiter eingeschränkt.9Vgl. Werner, Michael: Stiftungsstadt und Bürgertum. Hamburgs Stiftungskultur vom Kaiserreich bis in den Nationalsozialismus, München 2011, S. 29. Das und die Errichtung einer, wie oben erläutert, Hamburger Niederlage für Zollvereinsgüter zeigen, dass Hendersons Ansicht, wonach sich das Verhältnis von Hamburg zum Rest des Reiches seit 1867 nicht verändert habe, infrage zu stellen ist.10Siehe Henderson: The Zollverein, S. 331. Artikel 34 der Reichsverfassung bezeugte jedoch weiterhin die Rechte von Hamburg und Bremen als Freihäfen – außerhalb des Zollvereins. Dieser Status konnte nur aufgehoben werden, wenn es die beiden Hansestädte wünschten.11Vgl. ebenda, S. 330. Bis 1876 betrieb der erste Präsident des Kanzleramtes und Vertrauter Bismarcks, Rudolph von Delbrück, eine Wirtschaftspolitik des Freihandels, wie es auch im Interesse Hamburgs war. Mit seinem Rücktritt nahm jedoch Bismarck die Zügel selbst in die Hand. Der Freihandel in Deutschland kam zum Erliegen und es brach ab 1878/79 eine Zeit des wirtschaftlichen Protektionismus an, sprich, die Erhebung hoher Schutzzölle durch den Zollverein.12Siehe Krause: Die Commerz- und Discontobank 1870-1920/23, S. 45; siehe Hinz: Planung und Finanzierung der Speicherstadt in Hamburg, S. 90; siehe Henderson: The Zollverein, S. 33. Diese sollten wohl den Aufbau der deutschen Industrie erleichtern und das Einkommen des Reichs erhöhen.13Siehe Hinz: Planung und Finanzierung der Speicherstadt in Hamburg, S. 91; Siehe Henderson: The Zollverein, S. 332.
1879 kam die Konfrontation zwischen Hansestadt und Reichskanzler. Bismarck forderte seit Mai offen Vorbereitungen seitens Hamburg und Bremen, dem Zollverein beizutreten. Sein Vorstoß sei, nach Pflanze und Henderson, vor allem aus politischen, weniger wirtschaftlichen Gründen erfolgt. Die Senate der beiden Hansestädte lehnten Bismarcks Begehren aber ab.14Vgl. Bühler: Vom Bismarck-Reich zum geteilten Deutschland, S. 63. Die Verfassung erlaubte nicht, dass die beiden Städte ohne ihre Einwilligung dem Zollverein beitreten, weshalb Bismarck sie unter Druck setzen musste. Am 19. April 1880 wurde dem Bundesrat von ihm ein Gesetz vorgelegt, wonach Altona und St. Pauli dem Zollverein beitreten sollten. Die beiden Orte gehörten politisch zu Preußen und nicht zu Hamburg, waren jedoch ebenfalls nicht Teil des Zollvereins. Stattdessen waren sie noch in der Hamburger Freihandelszone mit inbegriffen und an die Hansestadt wirtschaftlich gebunden.15Siehe Pflanze: Der Reichskanzler, S. 253; Siehe Henderson: The Zollverein, S. 331. Im Gesetz wurde die Behauptung verkündet, Altona habe unter dieser Verbindung gelitten.16Vgl. ebenda, S. 253-254. Am 28. April legte Hamburg mit Hinweis auf fragliche Verfassungsmäßigkeit dieses Vorhabens gegen den Beitritt St. Paulis Widerspruch ein. Gegen einen Beitritt Altonas konnte hingegen wenig getan werden. Erwartungsgemäß stritten die preußischen Delegierten des Bundesrats einen Verfassungsbruch ab.17Vgl. ebenda, S. 253. Am 22. Mai 1880 wurde die Aufnahme Altonas vom Bundesrat, ohne Angabe eines Termins zur Inkraftsetzung, beschlossen. St. Pauli konnte hingegen vorerst herausgehalten werden.18Vgl. Henderson: The Zollverein, S. 333.
Obwohl in Hamburg das Gefühl wuchs, dass ein Beitritt zum Zollverein unumgänglich sei, reichte es nicht unmittelbar für dessen Fügung.19Siehe ebenda, S. 331. Bismarck ging währenddessen noch einen Schritt weiter. Wie ein an die Öffentlichkeit gelangter Brief von ihm bezeugte, beabsichtigte er die Elbmündung ebenfalls in den Zollverein aufzunehmen. Auf diese Weise sollten Waren, die von der Nordsee nach Hamburg transportiert werden, vom Deutschen Zollverein, statt von Hamburg verzollt werden.20Vgl. Pflanze: Der Reichskanzler, S. 254. Damit sollte eine weitere Einnahmequelle Hamburgs zunichte gemacht werden. Aus dem Reichstag erhielt dieser Plan viel Gegenwind. Alle Fraktionen, bis auf die Konservativen, sprachen sich gegen die Verzollung an der Elbmündung aus. Doch war ihr Wort in dieser Angelegenheit bedeutungslos – die Zustimmung des Bundesrats reichte vollkommen.
Hamburgs Kapitulation
Für Hamburg schien die Lage aussichtslos. Doch sollte noch möglichst viel aus dem Konflikt herausgeschlagen werden. Nach langen Diskussionen zwischen Senat und Kaufmannschaft konnte in nachfolgenden Verhandlungen mit den Vertretern des Zollvereins im Mai 1881 die Hamburger Delegation davon berichten, ihre wichtigsten Forderungen erreicht zu haben.21Siehe Krause: Die Commerz- und Discontobank 1870-1920/23, S. 45; siehe Hinz: Planung und Finanzierung der Speicherstadt in Hamburg, S. 97. Hervorzuheben ist der Erhalt eines Freihafenbezirks in Hamburg, der weitgehend unter autonomer Verwaltung stand.22Vgl. Krause: Die Commerz- und Discontobank 1870-1920/23, S. 45. Er blieb als Lager- und Produktionszone außerhalb des Zollvereins gelegen, was vorteilhaft für Werften, Warenlager und Veredelungsunternehmen war.23Vgl. Werner: Stiftungsstadt und Bürgertum, S. 29. Der Grenzverlauf dieses Freihandelsbezirks blieb Hamburg selbst überlassen.
Zusätzlich dazu wurden Hamburg für 1882 40 Millionen Mark zum Ausbau von Dockanlagen und Speicher sowie die Zollverwaltung im hamburgischen Gebiet zugesprochen. Die durchgesetzten Forderungen waren ähnliche, wie die von Bremen.24Vgl. Bühler: Vom Bismarck-Reich zum geteilten Deutschland, S. 63-64. Am 25. Mai 1881 lag der Zollanschlussvertrag vor und wurde am 15. Juni von der Mehrheit der Hamburger Bürgerschaft beschlossen.25Vgl. Hinz: Planung und Finanzierung der Speicherstadt in Hamburg, S. 97. 1884 gab auch Bremen seinen Widersteht gegen einen Beitritt auf.26Vgl. Hein, Dieter: Deutsche Geschichte in Daten, München 2005, S. 116. Im Rahmen des Vertrags traten beide Hansestädte am 22. Oktober 1888 dem Deutschen Zollverein bei.27Vgl. Hein, Dieter: Deutsche Geschichte in Daten, München 2005, S. 116. Während Lübecks Industrie nach seinem Beitritt 1868 vom Handel unabhängiger wurde und zugleich an Bedeutung verlor, Begann für Hamburg und Bremen hiermit eine weitere Blütezeit. Zwischen 1880 und 1888 stieg die Anzahl der Gewerbebetriebe in Hamburg und Bremen noch um ca. 3 Prozent. In nur einem Jahr, 1888 bis 1889, stieg dieser Wert um etwa 27 Prozent. Möglicherweise war dieser Trend aber eher der allgemein guten Konjunktur zuzuschreiben.28Vgl. Korn: Gewerbeausstellungen im 19. Jahrhundert, S. 113-114.
Fazit
Bis zur Gründung des Norddeutschen Bundes gab es, wie hier ausgeführt, keineswegs eine kontinuierliche Entwicklung Hamburgs zu einem Mitglied des Deutschen Zollvereins. Nur unter Druck Preußens kam es ab 1866 zu einer Annäherung. Eine Konstante kann höchstens in dem zunehmenden Verlust politischer Souveränität Hamburgs von 1866 bis 1871 festgehalten werden, welche sich immer stärker auch auf wirtschaftlicher Ebene niederschlug. Die offensichtlichsten Brüche im Zoll-Status Hamburgs waren die Schaffung einer Niederlage für Zollvereinsgüter und der Konflikt von 1879/80 zwischen der Hansestadt und Bismarck. Letzteres ist wesentlich auf den Wechsel von Freihandelspolitik auf Protektionismus (Schutzzollpolitik) zurückzuführen, der durch den Reichskanzler veranlasst wurde. Die Hansestadt musste 1881 nicht alle ihre Sonderrechte aufgeben, jedoch den Großteil davon.
Johannes Valentin Korff studierte Geschichte und Religionswissenschaft an den Universitäten Hamburg, Heidelberg und Osaka. Er ist Doktorand sowie Wissenschaftliche Hilfskraft an der Forschungsstelle Antiziganismus am Historischen Seminar der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Seine Forschungsschwerpunkte sind Antiziganismus sowie die Kulturgeschichte und Geschichtskultur der visuellen Unterhaltungsmedien. Korff ist ehemaliger Redakteur von Hamburgische Geschichten.
Fußnoten